Falcianis SwissLeaks – Der große Bankdatenraub
Hervé Falciani arbeitete von 2002 bis 2008 bei der HSBC Private Bank, einer der größten Banken weltweit. Er erlangte Berühmtheit, als er einen umfassenden Datensatz entwendete und sich ins Ausland absetzte. Während er zu Anfang noch versuchte die Daten zu verkaufen, bot er sie später den Behörden an. Die Entwicklung dieser Ereignisse – Falcianis Geschichte und Vorgehen – werden auf „Falcianis SwissLeaks – Der große Bankdatenraub“ Kapitel für Kapitel nachempfunden und begleiten den Leser durch eine der größten Enthüllungen von Steuerbetrug und Geldwäsche in der Schweiz. Diese im Zuge einer Dokumentation von ARTE entstandene Web-Dokumentation legt besonderen Wert auf die Wahrnehmung des Bankgeheimnisses und dessen praktischer Ausübung, beziehungsweise Relevanz. Der Leser wird in jedem Kapitel aufgefordert seine Meinung wiederzugeben, um schlussendlich für sich selbst beurteilen zu können, ob das Bankgeheimnis wichtig ist und welche Auswirkungen der Skandal darauf haben wird. Im folgenden Interview gewährt die betreuende ARTE Redakteurin Katja Dünnebacke einen Einblick in das Projekt, welches für den Grimme Online Award 2016 in der Kategorie Wissen und Bildung nominiert ist.
Wie ist das Projekt entstanden?
Die Idee kam von der Produktionsfirma Gebrüder Beetz, die über den SWR einen Film bei ARTE angemeldet hatten: „Falciani und der Bankenskandal“. Sie hatten die Idee, den Film mit einem Online-Projekt zu begleiten und wollten das in Form einer Web-Dokumentation machen.
Inwiefern hängen die Web-Dokumentation und der Dokumentationsfilm „Falciani und der Bankenskandal“ miteinander zusammen?
Beide hängen ganz eng zusammen. Die Gebrüder Beetz waren dieser Geschichte auf der Spur. Sie sind an Hervé Falciani herangekommen, gewannen ihn als Protagonisten, bekamen von ihm Informationen und wollten daraus auf jeden Fall einen Film machen. Sie haben mit ihm gedreht, aber auch mit Protagonisten aus dem Umfeld dieser Thematik. Der Film kam zuerst, aber sehr bald folgte die Idee der Web-Dokumentation, da dieses Format gegenüber dem Film noch einmal ganz andere Möglichkeiten bietet. Sie wurden nicht gleichzeitig angemeldet. Es gibt bei ARTE bestimmte Verfahren, wann ein Film und wann ein Online-Projekt angemeldet werden, aber es wurde relativ bald entschieden, dass wir beides machen wollen – den Film und die Web-Dokumentation.
Wen möchten Sie mit der Web-Dokumentation erreichen?
Das Thema ist ziemlich kompliziert und sehr speziell. Es geht um Steuern, Steuerbetrug, Finanzbetrug. Es war uns bewusst, dass das einerseits ein bisschen „Special-Interest“ ist, andererseits wieder auch nicht, da letztendlich die Gemeinschaft um Steuern betrogen wird. Also sind wir alle mehr oder weniger davon betroffen. Bei der Web-Dokumentation haben wir uns gedacht, dass wir die Leute noch ein bisschen anders packen wollen, indem wir ganz konkret fragen: „Was würdest du denn tun?“ Zum Beispiel: „Du hast 300.000 € von deiner Tante geerbt. Was machst du? Gehst du damit nach Monaco, Luxemburg, in die Schweiz oder deklarierst du es?“
Wir haben versucht, das Thema sehr nah an den User heranzubringen, ihn selber zu involvieren und ihn nach seiner Meinung zu fragen. Der User muss die Fragen nicht beantworten, aber er setzt sich zwangsläufig mit dem Thema auseinander, indem er sich selber fragt, wie er sich in diesem oder jenem Fall verhalten hätte.
Wie sah die Arbeitsweise am Projekt aus?
Gebündelt wurde alles bei der Produktionsfirma Gebrüder Beetz, die diese Geschichte aufbereitet haben. De facto läuft es dann so: Jede Produktionsfirma legt uns ein Konzept vor und wir betreuen dieses dann gemeinsam in einer Gruppe. Da Gebrüder Beetz das Projekt über den SWR hier bei ARTE anmeldeten, war ein Redakteur vom SWR dabei und in diesem Fall waren wir sogar zwei Redakteure von Arte – einmal ich und ein Redakteur von der ARTE-Zentrale, die in Straßburg sitzt. Wir haben dann zu dritt dieses Projekt mit der Produktionsfirma weiterentwickelt, betreut und bis zur Publikation gebracht.
Wie sah Ihre Arbeit, speziell als Redakteurin, an dem Projekt aus?
Zuerst einmal muss ich von der Idee eines neuen Projektes überzeugt sein. Hinter der Idee muss eine gute Geschichte stecken. Wenn das Projekt weiter vorangeschritten ist, bekomme ich ein Skript vorgelegt, in dem ich lesen kann, wie die Web-Dokumentation aufgebaut ist. Dort stehen alle Texte drin, die in der Web-Dokumentation vorkommen sollen und ich kann schon erkennen, ob es ein gutes Skript ist und es funktionieren kann: Ist eine Spannung vorhanden, eine Dramaturgie? Danach ist es wichtig, einen Prototypen zu sehen, also eine Beta-Version der späteren Web-Dokumentation, um zu sehen, wie die Funktionalität ist: Wie geht die Geschichte voran und wie ist die Mischung von Text, Bild, Video, interaktiven Elementen? Es sind zwar die einzelnen Elemente die zählen, aber die Mischung des Gesamtkonzeptes sowie die Dramaturgie dahinter sind auch wichtig.
Warum haben Sie sich für dieses Konzept entschieden?
Ausschlaggebend war die Tatsache, dass es eine europäische Geschichte ist. Hervé Falciani ist ein Franzose, der in Monaco aufwuchs, in der Schweiz arbeitete, dort die Daten der Steuerbetrüger stahl und am Ende waren sehr viele europäische Länder davon betroffen. Das interessiert uns als europäischen Kultursender natürlich besonders. Und es ist für uns auch immer toll, wenn wir ein Thema finden, dass in Frankreich und Deutschland – in unseren beiden Ländern, in denen wir senden und für die wir auch unser Web-Konzept gestalten – gleichermaßen ankommt.
Worin sehen Sie die Vorzüge einer Web-Dokumentation, warum haben Sie sich gerade für diese Art der Präsentation entschieden?
Die Web-Dokumentation ist relativ interaktiv angelegt. Es erschien uns reizvoll, dass man das Thema so präsentieren kann, dass der User einbezogen wird und ihn nicht zwingt, aber doch bittet, sich zu positionieren. Der User kann Entscheidungen treffen und schauen, ob er am Ende der Web-Dokumentation noch die gleiche Meinung zum Thema Steuerhinterziehung hat, wie am Anfang.
War Falcianis Handeln, das Freigeben der Daten, in Ihren Augen wichtig für unsere Gesellschaft?
Bereits vor der Veröffentlichung dieser Web-Dokumentation wurde der Skandal der HSBC Bank in der Schweiz von anderen Medien aufgearbeitet. Es ist ein Thema, das die Leute interessiert. Vielleicht ist es ein bisschen hoch gepokert, aber man könnte sagen, dass es quasi der Vorläufer der Panama Papers war. Die Panama Papers behandeln ein ziemlich ähnliches Thema: Schwarzgeld. Doch das Ausmaß ist ein ganz anderes und betrifft nicht nur ein paar europäische Länder, sondern ist ein weltweiter Skandal. Ich glaube, dass diese Themen im Moment wichtig sind und beim Publikum auf Interesse stoßen.
Was bedeutet Ihnen die Nominierung für den Grimme Online Award?
Es ehrt uns natürlich und wir freuen uns darüber. Wir haben im vergangenen Jahr schon einen Preis gewonnen und es gibt noch zwei weitere Nominierungen für dieses Projekt. Das zeigt uns, dass wir mit dem Thema und der Umsetzung richtig lagen.
Autoren: Richard Müller, Luca-Luisa Strack
Um das Video anzuzeigen, ist ein Verbindungsaufbau zu YouTube erforderlich. Durch YouTube werden bei diesem Vorgang auch Cookies gesetzt. Details entnehmen Sie bitte der YouTube-Datenschutzerklärung.
Die Interviews mit den Nominierten und die Videos sind im Rahmen eines Medienpraxis-Seminars an der Universität zu Köln entstanden.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!