Wie Biometrie-Geräte in Afghanistan zur Gefahr werden
Die Recherche der Redakteur*innen des BR rund um die zurückgelassenen Biometrie-Geräte in Afghanistan ist ein Thema, das unter die Haut geht. Denn es geht nicht nur um technische Geräte, sondern um das Schicksal der Menschen in Afghanistan, die durch die Daten auf diesen Geräten in akute Gefahr geraten können. Die digitale Online-Darstellung des Projekts wurde mit einer interaktiven Website in Form von Scrollytelling für den Grimme Online Award 2023 in der Kategorie „Information“ nominiert. Rebecca Ciesielski und Maximilian Zierer berichten von den Anfängen, der Entwicklung und der Zukunft des Formates, sowie den Herausforderungen, die während der Recherche aufgetreten sind.
Am 27.12.2022 wurde das Projekt des Bayerischen Rundfunks „So bringen Biometrie-Geräte Afghanen in Gefahr“ veröffentlicht. Seitdem klären Sie viele junge Menschen und auch Erwachsene über die akuten Gefahren für Afghanen in ihrem eigenen Land auf und berichten über die gefundenen Geräte. Wie kam es zur Recherche dieses doch sehr speziellen Themenfeldes über die Biometrie-Geräte in Afghanistan?
Rebecca Ciesieslki: Wir hatten die Idee ein ARD-Radiofeature zum Thema Biometrie zu machen. Im Zuge dessen haben wir geschaut, was in Europa im Bereich Gesichtserkennung und Fingerabdruckanalysen passiert. Wir sind dann auf ein Mitglied des Chaos Computer Clubs gestoßen, genauer gesagt auf einen Vortrag von Matthias Marx und einer weiteren Person. Das fanden wir spannend, weil er sich sehr viel mit diesem Thema beschäftigt. Nachdem wir ihn kontaktiert haben, erzählte er, dass er sich gerade ein auf Ebay erworbenes Biometrie-Gerät anschaut und wir wollten unbedingt wissen, was dabei rauskommt. Er hat uns daraufhin eingeladen, die Analyse des Geräts mit anzuschauen.
Bedeutet das, dass der Bericht zufällig entstanden ist?
Maximilian Zierer: Super zufällig würde ich nicht ganz unterschreiben, aber etwas Reporter*innenglück gehört immer dazu. Wir hatten uns intensiv mit dem Thema Biometrie beschäftigt und haben mit vielen möglichen Ansprechpartner*innen gesprochen. Den Aspekt, dass es in Afghanistan schon ein Thema war, hatten wir gesehen. Wir sind allerdings nicht so weit gegangen wie Matthias Marx, einfach mal bei eBay zu schauen, ob es diese Geräte dort gibt und diese zu untersuchen. Von daher war es schon ein bisschen Reporter*innenglück, das, glaube ich, dazugehört, aber auch ein bisschen das Glück des Tüchtigen.
Um ein derart umfangreiches Projekt durchzuführen, ist ein starkes Team sicherlich unerlässlich. Welche Personen waren neben Ihnen und Matthias Marx noch daran beteiligt?
Maximilian: Wir beide als Autor*innen des ARD-Radiofeatures und der parallel dazu entstandenen Longreads Website. Dazu Steffen Kühne und Sebastian Bayerl aus unserem Team, die die Programmierung und das Design des Longreads übernommen haben. Die sich auch in vielen Stunden nach der Veröffentlichung die Feiertage um die Ohren geschlagen haben, um dieses Projekt rechtzeitig fertigzustellen. Und noch Helga van Ooijen und Robert Schöffel aus der Redaktion.
Wie sind Sie darauf gekommen ein Scrollytelling daraus zu machen und wieso haben Sie sich nicht für ein anderes Medium zur Verbreitung Ihrer Erkenntnisse entschieden?
Maximilian: Wir haben ein ARD-Radiofeature und zusätzlich noch diese Onlineveröffentlichung gemacht. Bei größeren Projekten greifen wir häufig auf dieses Tool zurück. Unser Team veröffentlicht eigentlich alle Recherchen auf verschiedenen Wegen. Dann sind wir mit unseren Kollegen Steffen und Sebastian darauf gekommen, das Biometrie-Gerät prominent in den Mittelpunkt zu stellen und dass man dieses auch als 3D-Modell nachbauen könnte. Und das Ergebnis hat unsere Erwartungen deutlich übertroffen. Ich finde, die beiden haben das großartig gemacht.
Man hätte sicherlich auch andere digitale Kanäle bedienen können. Nur muss man dabei die Bilderarmut bedenken. Wir hatten immer gefragt, ob wir etwas Instagrammäßiges dazu machen können, aber dafür hätte man Bilder aus Afghanistan gebraucht. Man hätte den Protagonisten bitten müssen, uns Fotos zu schicken. Das hätte ihn allerdings unnötig in Gefahr gebracht. Wir hatten den Eindruck, dass seine englischsprachigen Sprachnachrichten, die er immer wieder mal von seinem Handy gelöscht hat, gerade noch so okay waren. Aber er hat auch sein komplettes Handy leer gemacht, wenn er umgezogen oder bevor er über die Grenze gegangen ist. Ich hätte es nicht verantworten wollen, dass er Fotos oder Videos von seinem Standort macht und uns diese schickt. Deswegen stand es nicht zur Debatte, ein Social Media Format daraus zu machen.
Rebecca: Aber was man schon sagen muss, ist, dass es im Zuge der Berichterstattung auch verschiedene Fernsehberichterstattungen und Social-Media-Beiträge der ARD-Kanäle gab. Es ist schon immer der Anspruch unsere Recherchen so breit wie möglich zu streuen und ich glaube, das ist bei dieser auch wieder richtig gut gelungen.
Ihr Projekt hat gezeigt, dass Menschen in Afghanistan durch die gespeicherten Daten der hinterlassenen Biometrie-Geräte bedroht sind. Könnten diese hinterlassenen Geräte, Ihrer Einschätzung nach, auch für Deutschland eine Gefahr darstellen?
Rebecca: Was wir in dieser Recherche gesehen haben, ist, dass biometrische Daten generell ein größeres Gefahrenpotenzial haben. Generell gibt es in Europa gerade große Projekte, die sich damit beschäftigen, wie Biometrie-Datenbanken stärker ausgerollt werden können und sollen. Das zeigt, welches Potenzial und welche Gefahr in diesen Daten liegt. Diese Daten, die Matthias Marx auf dem Gerät gefunden hat, sind zehn Jahre alt und trotzdem können sie jetzt den Menschen dort zum Verhängnis werden. Das ist schon bedenklich.
Maximilian: Auch wenn Regierungen es möglicherweise wohl meinen und das Ganze in einem guten Sinne einsetzen wollen, um Verbrecher*innen oder Terrorist*innen von rechtschaffenen Bürger*innen zu unterscheiden, zeigt dieser Fall ganz klar, dass es fatal sein kann, wenn diese Geräte irgendwann in falsche Hände geraten. Wenn man das zu Ende denkt, sind eben auch westliche Demokratien nicht davor gefeit, dass irgendwann ein Regierungswechsel stattfindet und vielleicht eine Kraft an die Macht kommt, die solche Tools anderweitig einsetzen könnte.
In Ihrer Onlineveröffentlichung sehen wir sowohl technische Daten als auch persönliche Geschichten. Was war für Sie journalistisch, aber auch persönlich die größte Herausforderung während der Recherche? Gab es einen Moment, der besonders emotional war?
Maximilian: Persönlich herausfordernd war es den Kontakt zu der Person, die in Afghanistan war, zu halten. Wir haben ihn lange Zeit Said genannt, Shir Entezar ist sein richtiger Name. Das war teilweise sehr bedrückend. Wir haben immer Sprachnachrichten ausgetauscht. Und wenn man von jemandem, von dem man weiß, dass er in Gefahr ist, längere Zeit nichts hört, macht man sich natürlich Gedanken. Man fragt sich, was mit dieser Person jetzt ist, die dort ist und die einem auch sehr emotional und sehr direkt sagt, was sie fühlt und was in ihr vorgeht. Es war schon ein besonderer Moment zu erfahren, dass er es letztendlich mit seiner Familie aus Afghanistan raus geschafft hat.
Rebecca: Nach der Berichterstattung haben uns verschiedene Menschen aus Afghanistan kontaktiert und von ihrer Lage berichtet und gesagt, wie gefährlich das alles ist und wie stark sie sich bedroht fühlen. Das war ein Faktor, der uns gezeigt hat, wie gefährlich diese Daten sind und wie groß die Bedrohung für Menschen ist, die in solchen Gebieten leben und dort konkret verfolgt werden.
Wie ist eigentlich der Kontakt zu Ihrer Kontaktperson in Afghanistan entstanden und haben Sie jetzt noch Kontakt zu ihm?
Rebecca: Durch den Fund von Matthias Marx haben wir uns auf Afghanistan konzentriert und einige NGOs in Deutschland kontaktiert, die Kontakte zu verfolgten Personen in Afghanistan hatten. Auf diese Weise sind wir mit vielen Menschen ins Gespräch gekommen. Durch eine NGO sind wir auf Said gestoßen, der uns immer wieder von den verschiedensten Situationen und Orten berichtet hat. Vor ein paar Wochen hatten wir noch mal Kontakt mit ihm, aber mittlerweile nicht mehr.
Wissen Sie, wie betroffenen Personen in Afghanistan gerade aktiv geholfen wird oder ob denn überhaupt geholfen wird?
Rebecca: Nein. Unsere Recherchen zu diesem und anderen Themen zu Afghanistan haben immer wieder gezeigt, dass viele Menschen, die von NGOs als bedroht eingestuft werden und denen auch von den NGOs Unterstützung zukommt, nicht aus Afghanistan evakuiert werden. Als unser Protagonist mit seiner Familie evakuiert wurde, hieß es sowohl von ihm als auch von der NGO, dass er eine absolute Ausnahme sei und dass die allermeisten, die in einer ähnlichen Lage sind wie er, nicht von Deutschland evakuiert wurden.
Gab es gewisse Gefahren etwas über die Taliban zu berichten oder in Kontakt mit einer in Afghanistan lebenden Person zu bleiben?
Maximilian: Wir haben das Privileg im sicheren Deutschland zu leben und ich hatte zu keinem Zeitpunkt Angst um mich persönlich. Aber, wie vorhin schon berichtet, waren wir in Kontakt mit Menschen, die vor Ort sind und wirklich Angst um Leib und Leben haben müssen. Nicht zuletzt auch aufgrund dieser Daten und der ganzen Situation.
Rebecca: Es gab diese schöne Situation, wo man beim amerikanischen Verteidigungsministerium angerufen hat. Da ist mir auch noch einmal bewusst geworden, wie groß unser Privileg eigentlich ist, dass wir all diese Sachen recherchieren können und trotzdem in Sicherheit sind – im Gegensatz zu den Menschen in Afghanistan oder anderen Journalist*innen, die in anderen Ländern über solche Themen recherchieren.
Seit dem Veröffentlichungsdatum der Website sind ein paar Monate vergangen. Gab es in dieser Zeit spannende Ereignisse zu diesem Thema?
Maximilian: Die Fraktion der Linken im Bundestag hat unsere Berichterstattung zum Anlass genommen, die Bundesregierung klar zu fragen, wie viele dieser Geräte im Einsatz waren und ob die Bundesregierung dazu weitere Auskünfte geben kann. Die Fragen wurden aber zum Großteil von der Bundesregierung nur sehr ausweichend beantwortet. Das ist leider ein Bereich, der sehr im Geheimen und oder Halbgeheimen abläuft. Man muss sehr viel nachbohren und es müssen parlamentarische Anfragen dazu gestellt werden. Wir haben nicht den Eindruck, dass es sehr transparent abläuft. Weder was die Privatwirtschaft noch was die Bundesregierung oder die US-Regierung angeht. Das zeigt wahrscheinlich auch die Nichtbeantwortung dieser Frage durch die Bundesregierung.
Rebecca: Wir hätten ein paar mehr Antworten erwartet, da das, was Matthias Marx gefunden hat, zeigt, dass das Memorandum of Understanding zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Verteidigungsministerium nicht eingehalten wurde. Darin ging es um die definitive Sicherung der Daten. Diese Recherche belegt, dass das nicht passiert ist.
Das Interview führten Alessia Burgio und Zoé Illner. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang “Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.
Zusätzlich ist ein kurzes Videointerview zum Projekt entstanden, realisiert von Studierenden des BA Intermedia an der Universität zu Köln:
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