Ohne DICH geht’s nicht!
„Je unterschiedlicher die Menschen sind, die Journalismus machen, desto vielfältiger die Perspektiven und desto vollständiger der Blick auf die Welt“, sagt Geschäftsführerin Clara Porák. andererseits ist das erste österreichische unabhängige und journalistische Medium, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung gleichberechtigt zusammenarbeiten. Die Arbeit von „andererseits“ wurde für den Grimme Online Award 2023 in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“ nominiert. In einem exklusiven Interview berichten Lisa Kreutzer und Nikolai Prodöhl von den Anfängen, der Finanzierung und den Wünschen des Formates, sowie den Herausforderungen, denen sie fast tagtäglich begegnen.
„andererseits“ wurde im Jahr 2020 als ehrenamtliches Projekt gegründet und ist seit 2022 eine offizielle Firma. Dieser große Schritt hat viel Zeit und Arbeit gekostet. Was war eigentlich die Ursprungs Idee für „andererseits“?
Lisa: Die Grundidee hinter „andererseits“ war und ist es inklusiven Journalismus zu fördern und zu gestalten. Wir wollten eine Lücke füllen, die wir im Journalismus gesehen haben, nämlich, dass 15 bis 20% der Bevölkerung eine Behinderung haben, aber es kaum Journalist*innen mit Behinderungen gibt. Das Problem daran ist, dass dann auch die Perspektiven von Menschen mit Behinderungen fehlen. Und wenn wir sagen, Journalismus soll die Welt so abbilden, wie sie ist, dürfen bestimmte Personengruppen nicht ausgeschlossen werden. Dies gilt sowohl für die Journalist*innen, als auch für die Konsument*innen der verschiedenen journalistischen Formate.
Am Anfang haben wir erstmal in kleinen Gruppen gearbeitet und ausprobiert, ob das überhaupt so funktioniert, inklusiven, gleichberechtigten Journalismus zu machen. Dann kam die Pandemie und es gab sehr lang nur Onlinetreffen. Nach vielen Treffen und Überlegung haben wir den Meilenstein erreicht, aus „andererseits“ eine Firma zu machen. Dies hat den Vorteil, dass wir nun die journalistische Arbeit auch vergüten können. Um diesen großen und wichtigen Schritt erreichen zu können, haben wir im Mai 2022 ein Crowdfunding gestartet, was sehr erfolgreich war. Wir haben 45.000 Euro gesammelt und von der Wirtschaftsagentur Wien eine Förderung bekommen. Offiziell sind wir jetzt seit September 2022 eine GmbH.
Was gehört zu einem inklusiven und gleichberechtigten Journalismus dazu?
Nikolai: Inklusion ist für mich, dass Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam Journalismus machen, dass man sich unterstützt und dass man sich an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung anpasst, denn inklusiver Journalismus dauert manchmal länger als normaler Journalismus.
Lisa: Wir haben dafür auch ein Modell, das ist die unterstützte Autor*innenschaft. Das heißt, jede*r bekommt die Unterstützung, die die Person gerade braucht. Das ist unterschiedlich und es wird einfach ein Raum geschaffen, in dem jede*r seine oder ihre Perspektiven ein- und mitbringen kann. Es ist beispielsweise sehr wichtig, dass der Journalismus sich an die verschiedenen Zielgruppen anpassen muss. Ein Drittel aller Menschen ist auf einfache Sprache angewiesen. Einfache Sprache besteht aus kurzen Sätzen, Erklärungen bestimmter Fachbegriffe, ohne komplizierte Wörter, damit sich alle Menschen informieren können.
Denkt ihr, es gibt einen bestimmten Grund dafür, dass Menschen mit Behinderungen im Journalismus so stark unterrepräsentiert sind?
Nikolai: Ja. Ich denke, das liegt daran, dass diesem Thema in der Öffentlichkeit keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Aktion Mensch hat eine Studie herausgebracht, dass Menschen mit Behinderung nur mit einem Prozent in den Medien vorkommen. Das ist viel zu wenig. Das liegt daran, dass viele Redaktionen noch nicht inklusiv genug sind. Es werden meistens auch keine Menschen mit Behinderung eingestellt, weil es immer schnell gehen muss und es in einer Redaktion hektisch zugeht. Ich habe auch mal ein Praktikum in Hamburg gemacht und da habe ich das gemerkt.
Wie gestaltet sich der Redaktionsalltag bei „andererseits“ und wie ist der Prozess bis zum fertigen Artikel oder Podcastfolge?
Nikolai: Wir treffen uns alle zwei Wochen an einem Donnerstag um 17 Uhr. Das dauert ungefähr zwischen einer halben oder dreiviertel Stunde, manchmal auch eine Stunde. In der Redaktionskonferenz besprechen wir die Themen, die Schwerpunkte und was wir machen, aber manchmal reden wir auch über Inklusion im Journalismus, wie wir gut zusammenarbeiten. Wir sprechen darüber, was Inklusion bedeutet, denn das ist wichtig für uns und für eine gute Zusammenarbeit. Bei der Produktion der Artikel arbeiten wir zu zweit oder zu dritt in Gruppen zusammen. Zuerst überlegt man sich ein Thema und dann fasst man zusammen. Bei mir ist es so, dass ich dann etwas recherchiere, manchmal führe ich auch Interviews dazu.
Dann, also bei mir, werden die Rechtschreibfehler korrigiert und manchmal gekürzt, weil ich meistens zu lang schreibe.
Nach welchen Kriterien wählt ihr eure die Themen aus?
Nikolai: Wir reden über die Themen, über die wir schreiben. Wir hatten zum Beispiel am Anfang das mit den Geschwistern, dann Angst und Mut und dann Liebe und Sex und noch Drogen und Rausch.
Lisa: Wir haben in Schwerpunkten gearbeitet und arbeiten jetzt in Experimenten, also in verschiedenen Formaten, die wir jetzt ausprobieren. Wir versuchen uns stark an den Bedürfnissen unserer Leser*innen zu orientieren und führen sehr viele Umfragen durch. Die Texte und die Formate von „andererseits“ haben eine ganz andere Erzählweise und das funktioniert, weil wir bei vielen verschiedenen Menschen ankommen. Dies ist ein laufender Prozess, den wir mit der Zeit immer weiter verbessern wollen. Im Januar hatten wir einen Ideen-Tag, zu dem die ganze Redaktion eingeladen war. Dort hat jede Person Ideen eingebracht und zum Schluss haben wir darüber abgestimmt, welche Themen mit dem Geld, was wir gerade zur Verfügung haben, umgesetzt werden können.
Wie viele Menschen konntet ihr schon durch „andererseits“ erreichen?
Lisa: In guten Monaten erreichen wir über 100.000 Menschen auf Social Media und unsere Doku „Licht ins Dunkel“ wurde von über 50.000 Menschen angeschaut.
Ihr beide seid jetzt schon länger bei „andererseits“ dabei. Was war für euch ein besonders emotionaler oder schöner Moment, den ihr schon erleben durftet?
Nikolai: Gute Frage. Viele Momente. Ich war schon zweimal in Wien. Da gab es einen Workshop mit „andererseits“, wie es mit der Finanzierung weitergeht. Da habe ich alle kennengelernt. Mein bester Moment war, als ich eine Bewerbung für ein Recherche-Stipendium für Menschen mit Behinderung geschrieben habe. Das habe ich dann nachher bekommen und daraus habe ich dann eine Reportage über die Behindertenwerkstatt gemacht und darüber, dass ich einen festen Job haben möchte. Das lief auf Deutschlandfunk Kultur. Das war besonders, wegen der Zusammenarbeit mit „andererseits“.
Lisa: Ich glaube, mein schönster Moment war, als wir gemerkt haben, dass das Crowdfunding funktioniert und das war dann wirklich der Moment, in dem wir gesagt haben: Wir machen es, wir ziehen es durch, wir werden eine Firma werden und wir werden versuchen, inklusiven Journalismus wirklich zu einem Modell zu machen, was wächst und größer wird. Und tatsächlich, Nikolai, dieses Treffen, von dem du erzählt hast, das war unsere Klausur in Wien, in der wir entschieden haben, dass wir Geld verdienen möchten. Da habe ich Nikolai und noch ein paar andere Leute kennengelernt und das war auch sehr schön.
Gibt es auch etwas, was euch manchmal richtig wütend macht?
Nikolai: Ja, manchmal bin ich ziemlich wütend und sauer, dass Menschen mit Behinderung so behandelt werden, nicht wie Normale. Weil ich und viele von „andererseits“ auch so behandelt werden möchten, wie jeder andere auch. Bei „andererseits“ kriegen wir nur ein Honorar. Wir kriegen nur Geld, wenn wir was machen, weil für eine Festanstellung reicht das nicht aus. Denn „andererseits“ hat dafür nicht so viel Geld. Da brauchen wir viel Geld, mehrere Millionen, damit man festangestellt wird. Viele arbeiten auch in Werkstätten in Österreich.
Lisa: Es ist eine Riesenproblematik und ein strukturelles Problem, dass Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten arbeiten, nichts dazu verdienen dürfen. Das ist ein strukturelles Problem mit den Werkstätten und deswegen müssen wir langfristige und gute Jobs schaffen können, um die Menschen anstellen zu können und ihnen auch länger als ein bis zwei Jahre Sicherheit zu bieten.
Was wünscht ihr euch für die Zukunft mit „andererseits“? Auch seitens der Politik und der ganzen Medienbranche für Inklusion?
Nikolai: Mein Wunsch ist, dass mehr Menschen bei „andererseits“ angestellt werden und dass für Menschen mit Behinderung mehr Arbeitsplätze geschaffen werden und dass sie mehr wahrgenommen werden.
Lisa: Ich wünsche mir auf der einen Seite natürlich, dass „andererseits“ eine große Redaktion wird mit Menschen mit und ohne Behinderung. Dass wir vielen Menschen feste Arbeitsplätze sichern können und dass der neue Journalismus funktioniert. Ich wünsche mir auch, dass die Journalist*innen merken, dass es wichtig ist, wer Journalismus macht und wen es erreicht.
Dass es wichtig ist, die fehlenden Perspektiven zu stärken, die bis jetzt ausgeschlossen werden. Und dass es in Zukunft allgemein immer mehr Räume gibt, in denen inklusiv gearbeitet werden kann und es vielleicht irgendwann gar nicht mehr inklusiv genannt wird, sondern es zu einer Normalität werden könnte.
Das Interview führten Alessia Burgio und Zoé Illner. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang “Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.
Zusätzlich ist ein kurzes Videointerview zum Projekt entstanden, realisiert von Studierenden des BA Intermedia an der Universität zu Köln:
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