Das größte Team, das der WDR je hatte
Bei #bienenlive – Folge den Königinnen konnte jeder, der wollte, sechs Monate lang das Leben in und um drei Bienenstöcke herum in Newsletter, per WhatsApp oder im Blog verfolgen. Möglich gemacht haben das Sensoren, die Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder das Gewicht des Bienenstocks gemessen und in automatisierte Nachrichten übertragen haben. Zusätzlich gab es 360°-Videos live aus dem Bienenstock, ein Quiz und umfangreiche Informationen in der Bienen-Uni.
#bienenlive ist für den Grimme Online Award 2020 in der Kategorie „Wissen und Bildung“ nominiert. Im Interview erzählen Sensorexperte Bertram Weiß und Thomas Hallet vom WDR, wie viel Arbeit hinter dem Angebot steckt und warum das größte Team, das der WDR je hatte, daran mitgearbeitet hat.
Was hat sie persönlich dazu animiert dieses Projekt durchzuführen?
Thomas Hallet: Animiert haben uns einfache Grundfragen: Was ist eigentlich los in dieser Blackbox namens „Bienenstaat“? Was können wir erzählen über das Verhalten der Bienen und ihre Verletzlichkeit, über die in den letzten Jahren so viel gesprochen wurde? Und dann natürlich: Mit welchen Mitteln und Erzählweisen wollen wir unsere User*innen davon begeistern? Denn das Thema Bienen und Bienensterben war ja nicht neu.
Bertram Weiß: Es hat uns einerseits gelockt, die Begeisterung für Bienen bei den Menschen zu wecken. Wir wollten aber auch die Bienen als Botschafter*innen nutzen, um Geschichten rund um Biodiversität, um Insektenvielfalt und um die Bedrohung der Natur zu erzählen.
Wer ist an dem Projekt beteiligt gewesen?
Thomas Hallet: Das Team war eine sehr spannende Grundkonstellation, weil wir mit Expert*innen aus unserer Kamera- und Tonabteilung des WDR und mit den Sensorexperten Bertram Weiß und Jakob Vicari zusammengearbeitet haben. Wir brauchten eine Menge Spezialtechniken. Zum Team zähle ich auch unsere Imkerin und die beiden Imker, die uns den Content eigentlich erst ermöglicht haben. Zu Beginn haben wir in einem Workshop mit ca. 15 Leuten einen ganzen Tag lang darüber gesprochen, warum das Thema Bienen spannend ist oder auch warum nicht. Da kamen ganz viele Alltagserfahrungen und ganz viele Kenntnisse über Bienen zusammen. Ich liebe es, wenn sich solche Teams viel miteinander austauschen und wenn im Laufe eines Projekts immer wieder neue Ideen hinzukommen. Das Team war einfach ein Erfolgsgarant, weil die Mischung perfekt war.
Bertram Weiß: Spaßeshalber haben wir auch immer mal wieder gesagt, dass wir letztendlich das größte Team hatten, das der WDR in seiner Geschichte je gehabt hat, weil wir 150.000 Mitarbeiter*innen hatten: Ganz, ganz viele kleine Bienen und ihre männlichen Partner in den Bienenstöcken. Aber nicht zu vergessen auch die vielen Schüler*innen, die sich in den mehr als 100 Schulen letztendlich zusammengefunden haben und auch ein wichtiger Teil des großen Projektes „#bienenlive“ waren.
Thomas Hallet: Man kann sagen, es war ein „bees and users driven project“. Es war offen und viele Personen konnten – oft auch auf unvorhergesehene Weise – etwas beitragen.
Bertram Weiß: Zahlreiche unserer Anregungen haben wir auch zum Beispiel über unseren WhatsApp-Kanal bekommen. Dort konnten sich die Menschen mit Königin Linda über sechs Monate „unterhalten“. So entstanden viele Ideen für Themen, die wir weiterentwickeln konnten, auf Grundlage dessen, was die User*innen etwa in ihren Gärten beschäftigt.
Thomas Hallet: Ich nenne ein solches Projekt gerne eine “offene Erzählung”. Am Anfang wussten wir nicht, wohin wir getragen werden würden von dem Geschehen in den Bienenvölkern und von den Launen der Natur und von den Fragen der User*innen. Und wir wussten am Anfang interessanterweise auch noch nicht, dass wir in der Mitte einen Schulwettbewerb ausrufen würden.
Das Projekt erscheint, allein aus technischer Sicht, extrem aufwändig. Wie viel Vorlaufzeit haben sie benötigt?
Bertram Weiß: Das Projekt selbst hatte ja eine Laufzeit von sechs Monaten. Wir haben einen ganzen Bienen-Sommer begleitet vom Frühjahr bis in den Herbst, wenn die Bienen allmählich in die Winterruhe gehen. Aber die Vorbereitungen dafür haben über ein Jahr vorher begonnen, mit den allerersten Ideen und Brainstormings. Die tatsächliche technische Arbeit, die vor allen Dingen auf WDR-Seite bei der Ausrüstung der Bienenstöcke mit Kameras lag und auf unserer Seite bei der Ausrüstung der Bienenstöcke mit verschiedenen Sensoren, hat etwa ein halbes Jahr vorher begonnen.
Thomas Hallet: Eingeschlossen in dem halben Jahr ist auch die Entwicklung und Umsetzung der Landingpage. Das war dann schon ziemlich sportlich, weil der Bienen-Sommer ja nicht darauf wartet, bis der WDR mit seinem Projekt startklar ist.
Welches Ziel haben sie mit dem Projekt verfolgt?
Bertram Weiß: Als Innovationslabor für Storytelling arbeiten wir bei tactile.news an solchen langfristigen, ergebnisoffenen Projekten. Uns reizen die unvorhersehbaren Wendungen und ein Storytelling mit Hilfe von Sensor-Technologie zu entwickeln. Wir hatten ja bereits Vorerfahrungen aus dem WDR-Projekt „Die Superkühe“. Da haben wir ein bisschen was von mitgenommen, vor allem die Begeisterung, wieder so ein Projekt aufzusetzen.
Thomas Hallet: Der Ideen-Workshop am Projektstart hatte #bienenlive das Ziel gesetzt, dass wir Zuschauer*innen, Hörer*innen und User*innen teilhaben lassen wollen an dem Leben von Bienen. Und das „Teilhaben- Lassen“ bedeutet, dass wir ganz viel zeigen, auch ganz viel erklären und berichten, aber auch interaktiv sind.
Welche Zielgruppe wollten sie genau ansprechen? Haben sie sie erreicht?
Bertram Weiß: Wir haben innerhalb des Projektes ganz unterschiedliche Formen von Inhalten angeboten, auch ganz unterschiedliche Kanäle gewählt. Wir hatten einen dauerhaften Newsletter. Wir hatten den WhatsApp-Kanal der Königin Linda. Wir hatten die Website mit Texten, Bildern und Videos. Letztendlich hat sich gezeigt, dass wir über diese verschiedenen Kanäle auch jeweils ein bisschen unterschiedliche Publika erreicht haben. Über den WhatsApp-Kanal haben wir Menschen erreichen können, die sehr naturbegeistert sind, sich viel in der Natur aufhalten und auch über ihren Garten mit der Natur in Kontakt kommen. Die Website war hingegen ein wichtiger Kanal, um erst einmal an die Lehrer heranzutreten und darüber die Schüler zu erreichen und für das Projekt zu interessieren. Insofern haben wir letztendlich sehr unterschiedliche Menschen erreicht, die vor allen Dingen eines gemeinsam hatten: Sie alle hatten eine Faszination für die Natur, lebten aber in dem Gefühl, dass sie im Alltag nicht so viele Möglichkeiten haben, sich wirklich mit der Natur zu beschäftigen. Nicht jeder hat die Chance, jeden Tag einmal durch die Wiesen und den Wald zu wandern. Gerade die städtische Bevölkerung hatten wir damit im Blick und die haben wir auch erreicht.
Thomas Hallet: Wir haben ja auch mit der Hörfunkwelle WDR 2 zusammengearbeitet, die eine erfolgreiche Kampagne daraus gemacht hat. WDR 2 ist ein Familiensender und das Thema Bienen passte da gut rein, weil in der Hörerschaft Kinder, Eltern und Großeltern sind. So hat das Thema Bienen über Generationen hinweg viele Fans gefunden. Was ich auch hervorheben möchte, ist, dass wir eigentlich überrascht worden sind von der Resonanz an den Schulen. Nach dem ersten Kontakt kamen da sehr viele Rückfragen und ganz viele Anregungen und auch ganz viele Mitmachimpulse.
Sie nutzen den Begriff „Sensorstory“. Was bedeutet er?
Bertram Weiß: Sensorstory ist letztendlich ein Begriff, den wir mit unserem Innovationslabor entwickelt haben. Maßgeblich Jakob Vicari und ich. Letztendlich ist damit gemeint, dass man eine journalistische Geschichte über längere Zeit erzählt, über Wochen, vielleicht Monate hinweg mit Hilfe von Sensoren, die permanent Messdaten liefern, die dann in die Geschichte einfließen. Im Falle der Bienen sah das konkret so aus, dass wir unsere Blogeinträge hatten, unseren Newsletter, in die Daten aus der Sensorik eingeflossen sind. Wir hatten aber auch auf der Webseite ein sogenanntes Bienen-Tagebuch. Dabei handelte es sich um einen automatisch erstellten Text, in den immer aktuelle Daten einfließen, sodass jedes Mal, wenn ein Nutzer das Tagebuch aufruft, ein etwas anderer Text entsteht. Diese Methode, Geschichten zu erzählen, nennen wir „Sensorstory“.
Hat sich ihr persönliches Verhältnis zu Bienen gewandelt?
Thomas Hallet: Mein Verhältnis ist relativ simpel zu beschreiben. Wenn ich hier zu Hause bin und mich mal zwischendurch auf den Balkon setze, dann gucke ich immer, ob ich irgendwas entdecken kann, was einer Biene gleicht. Meine Sensibilität für das, was da vor meiner Haustür passiert, ist deutlich gesteigert worden.
Bertram Weiß: Ich habe Biologie studiert und das hat mich auch in die Themen geführt, mit denen ich mich journalistisch beschäftige. Aber auch bei mir hat das Projekt letztendlich dazu geführt, dass ich mir Insekten sehr viel genauer angucke. Vorher bin ich, wann immer mir eine Biene oder eine Wespe oder ein anderes Insekt begegnet ist, oft achtlos daran vorbeigegangen. Heute passiert es mir sehr viel häufiger, dass ich mir das Tier wirklich angucke. Ganz besonders heute merke ich es, denn heute ist Welt-Bienentag (Anmerkung: Das Interview wurde am 20.05.2020 geführt). Den haben wir natürlich auch während des Projekts gefeiert und der wird mich immer an #bienenlive erinnern.
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