Information für Bart und Lisa Simpson
„Wir haben bei der Bundestagswahl soziale Medien erlebt, in einer Weise, wie vielleicht noch nie zuvor. Sie haben Informationen vermittelt, aber sie sind auch genutzt worden von Populisten für Ressentiments, für Fake News, für Hass“, sagte Armin Laschet, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen in seinem Videogrußwort zur Eröffnung des Social Community Day. „Dabei“, so fuhr er fort, „bieten diese Medien eigentlich hervorragende Möglichkeiten für die demokratische Kultur.“ Um eine ganze Reihe dieser Möglichkeiten kennenzulernen, sind am 18. Oktober rund 150 Teilnehmer auf Einladung des Grimme-Instituts ins Kölner KOMED gekommen.
„Wir machen es uns zu leicht, wenn wir die Verantwortung für unsere Demokratie, für den Zustand unserer Gesellschaft ausschließlich der Politik oder staatlichen Instanzen zuschreiben“, so die Direktorin des Grimme-Instituts, Frauke Gerlach, in ihrer Begrüßung. „Wir müssen uns informieren und dort einmischen, wo es geht. Unsere Gäste werden uns heute hervorragende Beispiele dafür vorstellen, wie wir dies tun können.“
Ausbruch aus der Filterblase
In einer ersten Runde diskutierten Medienmacher, wie Informationen einzelne Zielgruppen erreichen können. „Wir haben immer das Ziel, dass sowohl Bart Simpson als auch Lisa Simpson alles auf der Seite finden, was sie finden möchten.“ So erklärt Marie-Louise Timcke vom Interaktiv-Team der Berliner Morgenpost den Ansatz, sowohl die Nutzer ausreichend zu informieren, die auf der Suche nach schnellen Informationshäppchen sind, als auch diejenigen, die am liebsten alle Originalquellen durchsuchen. „Datenjournalistische Projekte können trockene Themen interessanter und erlebbar machen“, so Timcke, sie könnten Informationen eher an die Nutzer bringen, als es ein Text zum Thema könne. „Wir ‚Millenials‘ haben da gar keinen Bock drauf, das dauert uns zu lange“, bricht es aus ihr heraus.
Genau für diese Zielgruppe arbeitet auch Martin Hoffmann: „Es gibt relativ viele Angebote für die sogenannten ‚Millenials‘, aber die sind alle sehr ähnlich. Es werden lange Texte ins Internet gestellt, die so aufgebaut sind wie gedruckte Angebote.“ Diese aber erreichen Menschen unter 30 kaum noch. Hinter Hoffmanns App „Resi“ steckt auch die Idee, dem Überfluss an Information Herr zu werden: „Der Unterschied ist nicht die Auswahl der Themen, der Unterschied ist die Aufbereitung“, erklärt Hoffmann die Präsentation der Nachrichten als Chat-Bot auf dem Handy. Mit Erfolg: Die App-Nutzer seien sehr jung, berichtet Hoffmann, 70 Prozent unter 34 und mit einem eher geringeren Bildungsniveau. „Wir haben auch einige Heavy-User, die über 60 sind“, erzählt Martin Hoffmann nicht ohne Stolz. Dies zeige, dass diese Form der Informationsvermittlung für alle geeignet sei.
Der Masse an Information im Internet stellt sich auch „piqd“ entgegen: mit nur wenigen, dafür aber sehr lesenswerten Texten, die von Kuratoren ausgewählt und kommentiert werden. „Die rein quantitative Aufmerksamkeitsökonomie im Social Web sehen wir als Problem“, erklärt Marcus von Jordan, Geschäftsführer von „piqd“. „Sie fördert einen Verlust von Debattenfähigkeit, weil alles nur noch Schwarz-Weiß betrachtet wird.“ So sei ihr Ansatz quasi anachronistisch, er spreche ganz gezielt Leute an, die die Lust und Energie aufbrächten, einen Text zu lesen, der länger als 140 Zeichen sei. Und um die Diskussionsfähigkeit noch weiter zu erhöhen, plant „piqd“, dass die Kuratoren zukünftig einen Artikel empfehlen, den sie schlecht fanden. Auch eine Art Ausbruch aus der Filterblase.
Aus seiner Filterblase ausbrechen kann man ganz besonders mit den Angeboten von „Kopf, Hand + Fuss„. Die gemeinnützige GmbH erstellt unter anderem das Videoangebot „Gebärdengrips“ mit Wissensinhalten für Kinder, die auf Gebärdensprache angewiesen sind. „Wir wollen Informationen für alle anbieten“, erklärt die Gründerin Stefanie Trzecinski, so gebe es auch eine App, die Informationen für Analphabeten aufbereite. Wichtig sei aber besonders, für unterschiedliche Bedürfnisse zu sensibilisieren. „Der Umgang mit jemandem, der eine andere Ausgangslage hat, ist oft eine Anregung.“ Und so funktioniert „Gebärdengrips“ nicht nur für die gebärdensprachorientierten Kinder, sondern umgekehrt auch für Hörende, die sich dadurch mit Gebärdensprache beschäftigen. Trzecinskis Kollegin Victoria Michel, im Team zuständig für Öffentlichkeitsarbeit, ergänzt: „Wir versuchen möglichst viele Menschen in unterschiedlichen Situationen und Ausgangslagen zusammenzubringen – und so langfristig zu einem besseren Zusammenleben beizutragen.“
„Man kann nur miteinander reden und diskutieren, wenn man ein Grundbasiswissen hat“, ist Julia Lüke vom Westdeutschen Rundfunk überzeugt. Für das Basiswissen vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und vor der Bundestagswahl haben sie und ihr Team mit dem „WDR-Kandidatencheck“ gesorgt, in dem sich alle in NRW zur Wahl stehenden Kandidaten präsentiert haben. Das Angebot sei von den Wählern gut angenommen worden: „Meistens haben die Leute pro Sitzung zehn Videos angesehen“, so Lüke, „wir gehen davon aus, dass sie ihre Direktkandidaten angesehen haben.“ Und genau das sei auch das Ziel gewesen.
Engagement für Information
„Wir hatten uns intern die Bundestagswahl als Fixpunkt gesetzt um zu sehen, was dann ist. Je näher der Termin rückte, umso klarer wurde, dass wir weitermachen“, berichtet in einer zweiten Diskussionsrunde Sandra Meißner von der Initiative #ichbinhier, „der Bedarf ist einfach da“. #ichbinhier ist auf Facebook beheimatet und setzt sich für eine bessere Diskussionskultur in sozialen Netzwerken ein. Auf dem Panel zu „Aktion und Engagement“ diskutiert sie mit den anderen Teilnehmern, wie man sich im Netz dafür einsetzen kann, Vorurteile, Hass und Desinformation abzubauen. Aber kann man durch Diskussionen Menschen zum Umdenken bewegen? Darauf antwortet Meißner mit einem klaren „Jein“. „Gegen einen Bot oder jemanden, der stark überzeugt ist, kann man nichts erreichen. Wir wollen aber den normalen Mitleser erreichen.“
„Es ist genial, wenn du Leute erreichst, die du eigentlich nicht erreichen willst“, sagt Franzi von Kempis, die als „Besorgte Bürgerin“ im Netz unterwegs ist, „aber es ist auch hart, wenn du für andere als deine eigene Zielgruppe produzierst.“ Nachdem sie vor ein paar Monaten ein Video über Gewalt gegen Frauen veröffentlicht habe, sei ihr YouTube-Kanal quasi nutzlos geworden, denn andere Kanäle würden ihren mit Hasskommentaren überfluten. Jeder wünsche sich zwar, unfassbar viel positiven Support zu bekommen, aber es sei naiv das zu glauben.
Dass andere YouTube-Kanäle den eigenen zum Ziel ihres Hasses erklären, kann auch Farah Bouamar von den „Datteltätern“ bestätigen. Gemeinsam mit anderen jungen Muslimen und einem „Quotenchrist“ produziert sie humorvolle Videos über den Islam und die Unterschiede zur Mehrheitsgesellschaft. „In der Kommentarspalte sucht uns ein Shitstorm nach dem anderen heim“, berichtet sie, „wir löschen, wir melden, und wir machen gleichzeitig ein Video darüber.“ So werden die islamfeindlichen Kommentare zur Inspirationsquelle der „Datteltäter“, die sich selbst nicht als Anbieter politischer Bildung sehen. „Wir versuchen gesellschaftliche Themen, die uns als Muslime betreffen, aufzugreifen und auf unsere Weise aufzuarbeiten. Zufrieden sind wir, wenn wir die Brücke schaffen.“
„Ich würde mich nicht mit einem Aktivisten vergleichen“, sagt auch der Satiriker Shahak Shapira, der aber doch aufgefallen ist mit Aktionen wie „Yolocaust“, dem Kapern von AfD-Gruppen bei Facebook oder dem Sprühen von Hasskommentaren vor die deutsche Twitter-Zentrale. „Bei Facebook habe ich das Experiment gemacht, ganz viele Hasskommentare zu melden. Die haben es geschafft, alles in ein bis drei Tagen zu bearbeiten. Twitter macht das nicht“, erklärt er diese Aktion. Gegen Shapira richtet sich vor allem judenfeindlicher Hass in den sozialen Netzwerken, auch deshalb bewundere er die Arbeit von #ichbinhier und anderer Aktivisten im Netz. Sagt aber doch: „Ich kann mich an keine einzige Unterhaltung in einer Kommentarspalte erinnern, wo es sich gelohnt hätte zu diskutieren. Du verschwendest sehr viel Zeit.“
Auch Giulia Silberberger sagt, dass sie nicht mehr diskutiert. Und doch setzt die Initiatorin von „Der goldene Aluhut“ auf Aufklärung bei Facebook: Sie berichtet über Verschwörungstheorien – Sekten, Chemtrails oder Reichsbürger sind ihr Thema. Nach der Recherche in entsprechenden Facebookgruppen postet sie zur Aufklärung die absurdesten Theorien. „Das war die ersten zwei Monate nur Fun and Games. Dann fing die Beschäftigung damit an“, erklärt sie ihr Engagement. Selbst Aussteigerin aus einer Sekte, weiß sie, wie verhaftet man in einem Weltbild sein kann – und berichtet von einem Fall, in dem sie etwas bewirkt hat: Eine Frau, die den Plan hatte, sich und ihre Kinder vor einem drohenden Weltuntergang umzubringen, habe sich auf der Seite von „Der goldene Aluhut“ wiedererkannt und aufgrund von Silberbergs Kommentar umentschieden. „Da habe ich mit meiner Arbeit etwas erreicht“, so Silberberg.
Mit ihrer Arbeit etwas erreichen, das möchten alle Diskutanten beim Social Community Day – und nach den Wahlerfolgen der AfD sind sich auch alle einig, jetzt erst recht weitermachen zu wollen.
Eine umfangreiche Dokumentation des Tages findet sich unter www.social-community-day.de
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