Kunst der Erklärung: Ausstellung zu den „100 besten Video-Tutorials aus dem Netz“.
Gastbeitrag von Lars Gräßer
„Neben dem Storytelling sind Video-Formate als Megatrend im Auswahlverfahren deutlich spürbar“, schreibt die Jury des Grimme Online Award 2014 in ihrem Statement. Diesem „Megatrend“ geht aktuell eine (Medienkunst-)Ausstellung im Dortmunder U auf die Spur, fokussiert auf den Bereich der Erkärvideos: „Jetzt helfe ich mir selbst“ – Die 100 besten Video-Tutorials aus dem Netz. Es geht um Anleitungen zum Selbermachen, ums Do-It-Yourself (DIY), das darüber reden und kommentieren, alles bei laufender Kamera. Die Ausstellung basiert auf einer Idee von Dr. Inke Arns (künstlerische Leiterin des Hartware MedienKunstVerein e.V.). Die Auswahl der Videos entstand in Kooperation mit einem Seminar der Fakultät für Kulturreflexion der Universität Witten/Herdecke (Leitung: Jun.-Prof. Dr. Christian Grüny und Frederik Bury).
Dortmund scheint ein guter Ort für das Selbermachen zu sein: Ende April letzten Jahres schloss erst die Ausstellung „Die Mitmach Revolution“ nach acht Monaten in der Dortmunder DASA. Sie thematisierte die „selbstmotivierten Praktiken der Medienamateure, Heimwerker, Tüftler und Dilettanten“ und zeigte die Entwicklung der Amateurkulturen vom 19. Jahrhundert bis hin zur Web-2.0-Nutzung der Gegenwart.
Ins Museum?
Das Erklärvideos Preise gewinnen, ist bekannt – man denke etwa an Klaus Kauker, Gewinner des Grimme Online Award 2012 in der Kategorie Wissen und Bildung und Publikumspreisträger beim deutschen Webvideopreis im gleichen Jahr -, aber gehören sie in ein Museum? Warum sollte man sich für die Ausstellung auf den Weg machen? Schließlich sind alle Videos auch im Netz verfüg- und konsumierbar (eine Playlist findet sich hier).
Auf 100 Monitoren und Projektionen laufen die Erklärvideos in den Ausstellungsräumen und ringen um Aufmerksamkeit – überall flimmert es im abgedunkelten Ausstellungsraum. Hier soll möglichst viel Bewegtbild auf wenig Raum präsentiert werden, so der Eindruck beim Betreten. Die Kakophonie hält sich aber zum Glück in Grenzen: Am Eingang werden Kopfhörer verteilt und die Besucher können sich damit bei den Videos einklinken, die sie gerade interessieren. Die Präsentation kann dabei als Sinnbild für die Demokratisierung des Wissens per Social Media verstanden werden, die Erklärungen gehen wild durcheinander; Laien und Experten melden sich zu Wort, mal angetrieben von kommerziellen, mal von nicht-kommerziellen Interessen. Und der Zuschauer ist ständig herausgefordert zu entscheiden, ob und was er von den Erklärungen glauben soll und was nicht.
Verloren geht bei der Präsentation – die Monitore stehen mehrheitlich nebeneinander in einem Regal aufgereiht, eine Art (Bewegt-)Bildgalerie – natürlich die kommunikative Einbindung in ein soziales Online-Netzwerk wie YouTube. Keine ganz unwesentliche Komponente, dürfte der überwiegende Teil doch für ebendiese Präsentations- und Rezeptionsform produziert worden sein. Auch Erklärvideos sind eine Art Kommunikationsofferte, sie werden rezipiert und kommentiert wie andere Bewegtbildangebote in sozialen Online-Netzwerken auch. Lernen ist ihnen soziales Lernen. In der Ausstellung werden die Erklärvideos hingegen als Solitäre betrachtet, die vor allem für sich stehen, eine Art Selbstbauvariante des Telekollegs. Weiteres Manko: Die Serialität vieler Videos – die meisten Macher produzieren in beziehungsweise für ihren Kanal – verdeutlicht eine Reihe von Tanzvideos. Insgesamt wird diese Besonderheit vieler Erklärvideos aber nicht klar.
Inhalte
Angeleitet wird in den Videos zum perfekten Kuss, zum Haarewaschen in der Schwerelosigkeit, zum Bau einer Zitronenbatterie, zum Essen mit Stäbchen, zum Öffnen einer Bierflasche mit einem Stück Papier, zum Baden von Hunden, zum Überleben einer Zombie-Attacke, wie man berühmt auf YouTube wird, zum Zwiebelwürfel schneiden wie die Profis, zum Toasten ohne Toaster – es ist eine wilde Mischung, quer durch alle Lebensbereiche. Die Machart der gezeigten Tutorials reicht dabei von einfachen, teils verwackelten, teils unter- oder überbelichteten Smartphone-„Filmchen“ bis hin zu semi-professionell produzierten Erklärvideos, die perfekt ausgeleuchtet und in Szene gesetzt sind.
Leider nicht zu sehen ist, was die 100 besten zu eben diesen macht. Eine Ahnung vermittelt zwar ein Kurzführer mit Texten zu ausgewählten Video-Tutorials sowie ein Reader mit längeren Texten, die im Rahmen des Uni-Seminars entstanden sind, allerdings ohne das die Auswahlkriterien näher beleuchtet werden. Kurzführer und Reader setzen sich vor allem mit der Ästhetik der Bewegtbilder auseinander, ihre Didaktik ist kein Thema. Deutlich wird die enorme Spannbreite der Wissensinhalte, die für den Ausstellungsbesucher allerdings etwas ins Wahllose abgleitet. Alles kann und wird zum Thema gemacht. Deutlich wird auch: Alltagspraktisches dominiert. Ambitionierte Bildungsziele sind eher die Ausnahme.
Wobei man sagen muss: Gänzlich unambitioniert sind die Versuche nicht – zum Beispiel das Bierbrauen in der Fernsehsendung Hobbythek zu lehren. So hat auch Jean Pütz seinen Auftritt ebenso wie der amerikanische Fernsehmaler Bob Ross, beides massenmedialen Vorläufer des DIY aus dem TV, also von ganz anderer Machart als die übrigen Bewegtbilder. Sie dürfen in so einer Ausstellung natürlich nicht fehlen und sind doch anders.
Hingehen oder nicht?
Hingehen! Zwar gehen einige Besonderheiten der Erklärvideos verloren. Es bleibt unklar: Warum sind diese 100 hier und nicht 100 andere? Die kommunikative Einbettung geht verloren, die Serialität wird vernachlässigt. Aber die Präsentation in einer Galrie der bewegten Bilder ist sehr gelungen, die enorme inhaltliche Spannbreite wird deutlich und der Besuch in einem Museum dürfte eben jene Konzentrationsmöglichkeiten vermitteln, die im Alltag so häufig fehlen. Wer will, der oder die hat noch bis Ende August Zeit, der Eintritt ist frei.
Trackbacks & Pingbacks
[…] Einen Eindruck der Vielfalt von Youtube-Tutorials gibt die Youtube-Playlist „Jetzt helfe ich mir selbst” – Die 100 besten Video-Tutorials im Netz. Sie versammelt die Videos, die für eine (Medienkunst-)Ausstellung im Dortmunder U gezeigt wurde. Die Ausstellung basierte auf einer Idee von Dr. Inke Arns (künstlerische Leiterin des Hartware MedienKunstVerein e.V.). Die Auswahl der Videos entstand in Kooperation mit einem Seminar der Fakultät für Kulturreflexion der Universität Witten/Herdecke (Leitung: Jun.-Prof. Dr. Christian Grüny und Frederik Bury, (via Quergewebt-Blog)). […]
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!