„Trotz allem“ – Hoffnung trotz Internierung
Krieg, Antisemitismus und Gefangenschaft – der 1901 in Stuttgart geborene Fred Uhlman durchlebte genau das. Während seiner sechsmonatigen Gefangenschaft 1940 in einem britischen Internierungslager schuf er den Zyklus „Captivity“, welcher rund 150 Zeichnungen umfasst. Zehn Jahre später schenkte Uhlman 38 seiner Zeichnungen der Staatsgalerie Stuttgart. Diese Geste unterstreicht, was bereits in seinen Werken zu sehen ist: Hoffnung und Vergebung. Nun werden diese Zeichnungen nicht nur erstmals im Stuttgarter Museum ausgestellt, sondern einige der Werke werden auch in der digitalen Ausstellung „Im Dunkeln – Ein Leuchten“ präsentiert, um so mehr und auch jüngere Zielgruppen zu erreichen, damit die tragische Geschichte Fred Uhlmans und die Schrecken des Krieges nicht in Vergessenheit geraten.
Die digitale Ausstellung „Im Dunkeln – ein Leuchten“ ist für den Grimme Online Award 2022 in der Kategorie „Kultur und Unterhaltung“ nominiert. Im Interview erzählen die Digitalmanagerin Ilona Hoppe und die Kuratorin der Staatsgalerie Stuttgart, Corinna Höper, über Fred Uhlmans Leben während seiner Gefangenschaft und erläutern die Hintergründe der Veröffentlichung der digitalen Ausstellung.
Während seiner sechsmonatigen Haft 1940 schuf der in Stuttgart geborene Fred Uhlman den Zyklus Captivity, der rund 150 Zeichnungen umfasst. 1950 schenkte Uhlman dann 38 dieser Zeichnungen der Staatsgalerie Stuttgart. Nun werden diese Zeichnungen nicht nur erstmals im Stuttgarter Museum gezeigt, sondern einige der Werke werden auch in der digitalen Ausstellung „Im Dunkeln – ein Leuchten“ präsentiert. Wie kommt es, dass Uhlmans Leben und Werke rund 70 Jahre nach der Schenkung in den Fokus der Öffentlichkeit gestellt wurden?
Corinna Höper: Im vergangenen Jahr fand das große Jubiläum „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ statt. Und die Museen wurden aufgefordert, einen Beitrag dazu zu liefern. Da ist mir eingefallen, dass wir diese wundervolle Folge von Fred Uhlman in der Sammlung haben. Ein Jude, in Stuttgart geboren, der 1933 nach Paris emigrieren musste und später nach London gegangen ist. Da habe ich die Gelegenheit genutzt und übermittelt, dass ich ein Thema habe und dieses gerne behandeln würde. Das fand auch schnell im Kreis meiner Kollegen und der Direktion Aufmerksamkeit, und so kam es letztes Jahr hier in Stuttgart zu dieser Ausstellung. Die Ausstellung fing bereits im Frühjahr an, musste jedoch mehrfach wegen Corona geschlossen werden und wurde dann bis zum 9. Januar 2022 immer wieder verlängert. Die Stuttgarter hatten so die Gelegenheit, ihren Fred Uhlman, den sie weitgehend vergessen hatten, neu kennenzulernen.
Und warum haben Sie sich dazu entschieden, genau sechs Zeichnungen in der digitalen Ausstellung „Im Dunkeln – Ein Leuchten“ zu präsentieren und nicht andere oder mehrere Zeichnungen, die Uhlman der Stuttgarter Staatsgalerie geschenkt hat?
Ilona Hoppe: Unser Projekt begann in der Zeit des ersten großen Lockdowns. Ich kam neu in die Staatsgalerie als Digitalmanagerin und bin dann spontan in das erste Treffen mit Corinna Höper dazugestoßen, zu dem Zeitpunkt war die Ausstellung schon relativ weit geplant. Ich war sehr begeistert von diesem Stück Geschichte, von dem wir noch nie gehört hatten. Und das, obwohl ich selbst aus der Region komme. Dann habe ich mir die ganzen Bilder angeschaut, die wir von ihm in der Sammlung haben. Da waren einige dabei, die mir schnell ins Auge gefallen sind. Im ersten Moment ist mir aufgefallen, wie klein die Bilder tatsächlich sind. Wenn man jedoch ganz genau hinschaut, sieht man in diesen kleinen Zeichnungen sehr, sehr viel. Und das ist das Besondere daran. In der Nähe sind mir plötzlich so viele Details aufgefallen, die man auf den ersten Blick gar nicht erkannt hat. Manche Bilder haben einen gepackt, da sie wirklich dramatische Motive und Bilder zum Thema visualisierten. Dann waren jedoch auch welche dabei, die wirklich sehr fröhlich schienen. Zum Beispiel das Skelett, welches mit dem Mädchen tanzt. Es wirkt ein bisschen skurril und doch so emotional. Das ist eine ganz interessante Mischung an Ambivalenz in diesen Bildern.
Die Auswahl an Bildern kam letztendlich aus unserem Storytelling. Wir hatten die große Herausforderung, aus 40 Bildern die gesamte Geschichte zu erzählen. Allerdings erzählen die Bilder nicht Uhlmans persönliche Geschichte. Also mussten wir zum einen die Bilder erklären und zusätzlich die Geschichte des Künstlers. Danach haben wir diese Motive ausgewählt, damit wir eine Art Dramaturgie haben, sodass wir mit dem Krieg anfangen, dann haben wir ein Bild, während er in der Haft ist, was auch dazu gehört. Dann haben wir Bilder von Landschaften. Wir erzählen mithilfe der Bilder die Story, welche auf mehreren Ebenen gestrickt ist. Also zum einen die Kunstgeschichte, das Leben und die Biografie des Künstlers und eben diese Bilder. Die Auswahl ist wirklich komplex gewesen.
Wir hatten einige Bilder zur Auswahl und haben diese öfters hin- und hergeschoben und haben uns gefragt, wie wir es am besten machen können. Dann ist die Reihenfolge vom Dunkeln ins Helle entstanden. Am Anfang sind sehr dunkle Bilder, dann immer hellere. Und am Ende ist dann die Auflösung zu finden. Es ist zwar eine traurige Auflösung, trotzdem geht sie zum Teil auch in die Hoffnung, es geht in dieses Licht rein.
In den düsteren und apokalyptischen Darstellungen taucht immer wieder ein Mädchen mit Luftballons auf. Welche Bedeutung hat dieses Element in Uhlmans Werk?
Corinna Höper: Das ist eine Reminiszenz an seine Tochter. Er ist im Juni 1940 verhaftet worden und kam ins Internierungslager auf die Isle of Man. Seine Frau war zu der Zeit hochschwanger und hat das Kind im August zur Welt gebracht. Zu Beginn wusste er nicht einmal, ob alles gutgegangen ist, weil er anfangs nicht brieflich mit seiner Frau verkehren durfte. Das ist dann erst im Laufe der nächsten Wochen und Monate zugelassen worden. Dadurch hat er dann erfahren, dass er Vater einer Tochter geworden ist. Deswegen gibt es einige Zeichnungen, die speziell seinem neuen Kind gewidmet sind. Es gab auch extra französische Widmungen dazu. Das Kind, welches mit dem Luftballon durch die Bilder läuft, ist ein Mädchen. Sie ist eine naive, unschuldige Gestalt. Doch wenn man die Zeichnungen genauer betrachtet, stehen ganz merkwürdige Gestalten um sie herum, da sind Gehängte an den Bäumen und es erscheinen Kriege. Trotzdem geht sie unbeirrt ihren Weg. Sie wird meistens von hinten gesehen, also läuft sie in das Bild hinein. Bei ihr ist immer ein Lichtschein dabei. Das ist für ihn sein Hoffnungsschimmer gewesen.
Er hat diese Zeichnungen nicht als Porträts seines Aufenthalts betrachtet. Es gibt nichts Konkretes aus dem Internierungslager bis auf dieses Anfangsbild mit den Köpfen hinter dem Zaun, um zu zeigen, dass das die Internierten sind. Sonst gibt es jedoch keine Realszenen aus dem Internierungslager, die er illustriert hat. Es ist immer surreal und auf einer anderen Ebene dargestellt. Es wird sogar auf eine mystische Ebene mit merkwürdigen Gestalten gehoben. Da bildet dieses Mädchen nun mal den Hoffnungsträger für den Menschen, dass sie mit ihrem Luftballon einfach durch diese zerstörte Landschaft läuft und neue Hoffnung bringt. Und vor allem zum Schluss, wenn, wie Ilona Hoppe bereits sagte, das Mädchen sogar mit den Skeletten tanzt.
Dadurch, dass die Besucher und Besucherinnen sich durch die digitale Ausstellung die Bilder selbst erleuchten können, wird für jeden eine ganz individuelle Form des Entdeckens der Bilder möglich. Wie ist diese Idee überhaupt entstanden?
Ilona Hoppe: Die Idee kam daher, dass ich mir die Bilder erst im Allgemeinen angeschaut habe und dann erst mehr ins Detail gegangen bin. Das Erste, was mir aufgefallen ist, ich komme ja aus dem Designbereich, war der Kontrast, also das Helle und das Dunkle. Dann habe ich einen Aufsatz über Fred Uhlman gelesen und habe die Hoffnung in den Bildern erkannt. Das hat dann supergut gepasst. Dann kam die Überlegung, die Idee digital umzusetzen. Ich wusste direkt, dass wir etwas machen müssen, bei dem man in gewisser Weise dazu animiert wird, mitzumachen, damit es die eigene Bildbetrachtung schärft.
Ich habe damals einen Papier-Prototyp erstellt, also ein Papier mit Löchern. Ich habe mit Licht durch diese Löcher die Bilder erleuchtet und habe geschaut, was passiert. Dabei habe ich gemerkt, dass es echt gut funktioniert und habe es auch andere Leute ausprobieren lassen. Dann haben wir gemeinsam geschaut und es hat wirklich funktioniert, das Bild nach und nach zu erkunden. Da ging es dann los mithilfe eines Programmierers, einen kleinen Prototyp zu erstellen, sodass man die Bilder digital selbst erleuchten konnte. Wir haben ein Beispielbild hinzugefügt und jemanden einen Text einsprechen lassen. Man hat direkt gemerkt, dass diese Mischung aus Interaktion und aus atmosphärischem Sound sehr emotionalisierend ist. So wurde diese interaktive Erzählung geboren.
Inwiefern unterstreicht diese Form der Werkbetrachtung den Entstehungshintergrund des Werkes?
Ilona Hoppe: Die Entstehung passte sehr gut, da zu der Zeit der Lockdown war, jeder nur zu Hause war und es generell eine sehr trostlose Zeit war. Es gab immer wieder diese Hoffnung, dass es in den nächsten Monaten wieder besser wird. Wir hatten zwei parallele Ebenen. Zum einen die Vergangenheit, also der historische Hintergrund. Aber natürlich auch das Jetzt. Deswegen hat es sehr gut gepasst.
Corinna Höper: Für mich war das auch unglaublich spannend. Ich bin in der digitalen Welt nicht so zu Hause. Als Ilona Hoppe mich angesprochen hat, lief schon alles über den Computer. Es war eine sehr merkwürdige Zeit. Jedoch muss ich sagen, dass sogar ich vor allem durch dieses Feature mehr Lust dazu bekommen habe, mich mit diesem Thema zu beschäftigen.
Mit „Im Dunkeln – Ein Leuchten“ haben Sie ein Angebot geschaffen, das Kindern und Jugendlichen einen Zugang nicht nur zu dem künstlerischen Werk und zum Leben Uhlmans, sondern gleichzeitig zu komplexen Themen wie Antisemitismus und Aufarbeitung der deutschen Geschichte ermöglicht. Wie waren die Rückmeldungen auf Ihr Projekt, insbesondere zu der interaktiven Form von Bildbetrachtung?
Ilona Hoppe: Das war, glaube ich, die größte Überraschung. Ich hatte einen Vortrag im Sommer letzten Jahres und dort kam jemand auf mich zu und meinte: „Wusstet ihr schon, dass im Lehramt Geschichte in Stuttgart zu dem Thema der Aufarbeitung des Nationalsozialismus ausgerechnet dieses Feature benutzt wurde?“ Erst durch diese Frau habe ich erfahren, dass es für die Schüler wohl ein sehr motivierendes Feature war. Anscheinend haben viele Kinder und Jugendliche dadurch angefangen, miteinander über dieses Thema zu sprechen. Sie haben sich unter anderem untereinander gefragt, ob sie gewisse Dinge zu dem Thema schon gefunden haben und haben sich gegenseitig motiviert, mehr herauszufinden. Sie sind scheinbar sehr stark in einen Dialog gegangen –und das ist so ziemlich das Größte, was man bei dieser Art von Interaktion im digitalen Bereich erreichen kann. Nämlich, dass dieses Thema im Gespräch bleibt und nicht in Vergessenheit gerät.
Durch den Austausch wird es einem auch ermöglicht, neue Perspektiven zu schaffen. Man bewegt sich auf einer Schwelle, die nicht so furchteinflößend ist, sondern spielerisch funktioniert, trotz des schweren Gepäcks. Es schreckt nicht ab, sondern legt offen, was wirklich passiert ist, und animiert dazu, gedanklich mitzumachen. Und das ist genau das, worum es bei einer Aufarbeitung geht. Das war für mich wirklich das Größte, was ich hätte hören können. Dass dieses Projekt einen großen Ausschlag sogar in der eigenen Stadt hat – auch ohne dass man selbst etwas davon mitbekommt. Durch das digitale Feature läuft alles auch zeitlich über die Ausstellung hinaus. Wir hoffen, in der Kommunikation noch mehr an die Schulen gehen und noch mehr Aufmerksamkeit für das Thema generieren zu können. Nicht nur im Kunstunterricht, sondern auch in Geschichte oder Politik würde es sehr gut passen.
Corinna Höper: Ich habe auch von unseren eher älteren Museumsbesuchern sehr viel positives Feedback gehört, also von unseren Besuchern, die oft über 50 Jahre alt sind. Die Ausstellung hat also nicht nur Kinder und Jugendliche angesprochen, sondern auch die Älteren haben sich dort reingeklickt und haben gesagt, dass es ihnen wirklich viel gegeben hat. Zum Teil hatten sie sogar schon von Fred Uhlman gehört. Jedoch nicht als Künstler, sondern als Schriftsteller. Er hat auch zwei, drei Bücher geschrieben und da kannten einige diesen wiedergefundenen Freund und waren ganz begeistert, dass sie sich jetzt auf diese Weise in diese Zeichnungen „hineinstürzen“ konnten.
Uhlman, der in Deutschland ja als Rechtsanwalt tätig war, arbeitete im Exil nicht nur als Maler, sondern auch als Schriftsteller. Welche besondere Bedeutung hatte nach Ihrer Einschätzung die Malerei für Uhlman?
Corinna Höper: Die Malerei war für Uhlman natürlich wichtig, da sich diese gut verkaufen ließ. Mit 33 Jahren ist er nach Paris gegangen, hat dann nach einigen Versuchen in verschiedenen Berufen angefangen zu malen. Er war schon recht früh erfolgreich damit. Vor allem in London, ab 1941, konnte er wirklich als Maler Fuß fassen und gehörte mit zu den angesagtesten, britischen Künstlern. Zum Thronjubiläum 1952 wurden 25 britische Maler eingeladen, die Begebenheiten der Königin in Bilder umzusetzen. Und Uhlman, als Deutscher, gehörte dazu. Das zeigt, wie etabliert er als Maler gewesen ist. Er konnte wunderbar von diesem Beruf leben und seine Familie ernähren.
Obwohl Uhlman wegen der drohenden Verfolgung als Jude in Nazideutschland ins Exil hatte gehen müssen, machte er der Stadt Stuttgart mit seinen Werken später ein Geschenk. Steht Uhlman aus Ihrer Sicht nicht nur für Hoffnung, sondern auch für Vergebung?
Corinna Höper: Auf jeden Fall. Er hat viel gehadert mit Deutschland. Er ist auch nur noch ein, zwei Mal nach Stuttgart zurückgekehrt. Wir hatten Kontakt mit seinen beiden Kindern, Tochter Caroline und Sohn Francis, die beiden leben noch. Die beiden sprechen kein Deutsch und haben erzählt, dass ihr Vater zu Hause nie Deutsch gesprochen hat. Er hat sich also komplett ins Britische assimiliert und mit Deutschland abgeschlossen. Das ist gerade das Interessante, dass sich mit fortschreitender Zeit seine ablehnende Haltung gemäßigt hat. Er hat eins seiner Bücher auch der Rathausbibliothek Stuttgart geschenkt und eine Widmung hineingeschrieben, in der es „Trotz allem“ heißt. Das zeigt, dass er trotz der grässlichen Geschehnisse versucht, einen Weg zu finden, mit der Zeit abzuschließen. Man darf auch nicht vergessen, dass seine Eltern in Theresienstadt und seine Schwester auf dem Weg nach Auschwitz umgekommen ist. Seine komplette Familie ist ausgelöscht worden – außer ihm.
Das Interview führten Anika Prinz und Julia Scheen. Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen im Bachelor-Studiengang “Mehrsprachige Kommunikation” an der TH Köln.
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