Preisverleihung mal anders: Grimme Online Award statt Goldener Aluhut
Aliens, Esoterik, Chemtrails – Giulia Silberberger kürt mit ihrer Organisation normalerweise die absurdesten Verschwörungserzählungen des Jahres mit einem Goldenen Aluhut. Dieses Jahr saß sie aber auch in der Nominierungskommission für den Grimme Online Award. Dafür sichtete sie die viele hundert Einreichungen, hörte Podcasts, schaute YouTube-Videos und TikToks, spielte Browsergames. Im Interview erzählt Giulia Silberberger über die Arbeit für den Grimme Online Award, aber auch über die Organisation, die sie ins Leben gerufen hat, um gegen Fake News, Verschwörungserzählungen und Extremismus zu kämpfen.
Sie sind dieses Jahr zum ersten Mal in der Nominierungkommission für den Grimme Online Award dabei. Was waren Ihre Erwartungen, als Sie zugesagt haben? Und wie hat Ihnen die Arbeit dann gefallen?
Ehrlich gesagt hatte ich gar keine Erwartungen. Ich lasse mich immer überraschen, was auf mich zukommt. Jedes Jahr ist ja auch immer so ein bisschen anders, es gibt neue Trends, Ideen und Highlights. Ich war einfach gespannt, was die Leute einschicken. Ich fand es dann zugegebenermaßen ziemlich anstrengend, besonders, die ganzen Podcasts zu hören. Bei abgeschlossenen Geschichten habe ich mir die alle in Gänze angehört und das war geistig ein bisschen auslaugend. Dafür waren die aber auch besonders erkenntnisreich und sind mir am besten in Erinnerung geblieben. Es waren unheimlich viele verschiedene Themen dabei, auch Tabus. Die Podcasts über das Sterben fand ich zum Beispiel so gut. Vor allem „Sick of it – Statements einer Sterbenden“ von Franziska Knost, die im Februar an Krebs verstorben ist, war mein persönliches Highlight. Es ist dann leider nicht nominiert worden, weil nicht alle Nominierungskommissionsmitglieder so überzeugt davon waren wie ich – und weil sich in der Diskussion auch viele Argumente dagegen gefunden haben. Trotzdem eine Hörempfehlung.
Sie haben es ja schon angesprochen, dass Sie sehr viele Einreichungen sichten mussten. Wie viel Zeit haben Sie denn dafür insgesamt gebraucht und wie sind Sie genau vorgegangen?
Ich habe mir zwei Wochen für den GOA komplett geblockt. Keine Workshops, keine Öffentlichkeitstermine, gar nichts. Und ich wusste schon, dass ich damit nicht hinkomme. Ich habe im Endeffekt anderthalb Monate nur Podcasts gehört, Browsergames gespielt und so weiter. Ich habe das in Blöcken abgearbeitet und in eine Datei meine Bewertung eingetragen, wie ich die Dinge einschätze und wo die Pros und Kontras liegen. Ich habe das voll durchstrukturiert, weil ich auch fair bewerten wollte.
Der GOA war ein bisschen eine Reise an die Grenzen meines Selbst. Es war aber auf jeden Fall auch ein Gewinn für meine eigene Arbeit. Wir starten im Sommer zum Beispiel auch einen Podcast für den „Goldenen Aluhut“, weil ich dieses Format so zu schätzen gelernt habe. Und TikTok: Vorher hatte ich voll die Vorurteile gegenüber der Plattform, und dann habe ich mir die Kanäle angeguckt, die eingesandt wurden, und fand es streckenweise groundbreaking. Gerade sexuelle Aufklärungskanäle wie „Auf Klo“ von funk oder auch das dann nominierte „safespace.offiziell“ vom rbb fand ich Bombe. Und jetzt haben wir auch für den „Goldenen Aluhut“ einen TikTok-Kanal eingerichtet.
Was war Ihnen beim Bewerten dann besonders wichtig?
Dass es fair bleibt. Dass ich es nicht schlecht bewerte, weil ich es persönlich mies finde. Und dass ich auch immer begründen kann, warum ich etwas so bewertet habe.
Und dann habe ich noch auf das Technische geachtet. Manche Sachen waren inhaltlich super und hatten eine ehrenhafte Message, waren aber technisch schlecht. Andere aus der Nominierungskommission haben dem wiederum zehn Punkte gegeben, da habe ich ein bisschen gemerkt, auf welche unterschiedlichen Aspekte wir achten.
Normalerweise nominieren Sie beim „Goldenen Aluhut“ Verschwörungsideologinnen und -ideologen. Wie hat es sich angefühlt, diesmal Onlineangebote positiv würdigen zu können?
Sehr schön. Vor allem musste ich diesmal auch wirklich mal was arbeiten. Beim „Goldenen Aluhut“ mache ich ja nichts, außer die Plattform bereitzustellen. Die User schicken Vorschläge ein, wir übertragen das dann später in das Voting-System, dann stimmen sie ab. Da muss ich nicht viel beitragen, außer Aussieben. Bei uns nominieren wir zum Beispiel nicht, wenn jemand seelisch erkrankt oder zu sehr Neonazi ist – es muss auch irgendwo im Rahmen bleiben.
Und beim GOA war es echt anders, das war Prüfen auf Herz und Nieren. Und ich war auch ein bisschen pedantisch, weil ich als Faktenchecker beispielsweise auch auf die Rechtskonformität geachtet habe, ob die zu Spenden aufrufen und gemeinnützig sind und solche Sachen. Das war anstrengend, aber ich kann jetzt mit einem guten Gefühl auf meine Unterlagen gucken. Ich weiß aber nicht, ob ich es wieder machen würde, weil tatsächlich der Energie- und Zeitaufwand enorm ist, wenn man es richtig machen will.
Sie haben 2014 die Aufklärungsinitiative „Der Goldene Aluhut“ gegründet, über den wir jetzt auch schon geredet haben. Eigentlich sind Sie aber Betriebswirtin. Wie sind Sie dazu gekommen, den „Goldenen Aluhut“ zu gründen?
Verschwörungserzählungen betreffen die gesamte Gesellschaft, vollkommen egal, aus welcher Berufssparte man kommt. Und ich habe da Bedarf gesehen. Zuerst kam ja die Idee mit dem Award. Das war am Anfang nur ein Witz von mir, dass ich gesagt habe, die sind so dumm, die kriegen von mir mal einen goldenen Aluhut. Ich habe dann eine Facebookseite gemacht, ich dachte, ich habe fünf Wochen Spaß und dann ist das Ding totgelaufen. Es war auch eine coole Möglichkeit, auf die Problematik aufmerksam zu machen.
Dass das eine Organisation wird, hätte ich nicht erwartet. Ein bisschen habe ich es schon drauf angelegt, ich dachte, dass es durchaus Potenzial hätte. 2015, mit der ersten Verleihung, kam dann auch der Gedanke, hinter den Award eine gemeinnützige Organisation zu stellen, was wir 2016 dann gemacht haben.
Heute gehen wir immer mehr in Richtung Medienunternehmen im Bildungsbereich. Wir verdingen uns mit Workshops an Schulen und Bildungseinrichtungen. Das schlägt super ein. Ich werde von so vielen Schulen angefragt und arbeite mit den Landeszentralen für politische Bildung zusammen. Das ist einfach total erfüllend, Wissen zu erwerben und weiterzugeben. Andere Leute daran teilhaben zu lassen, was man gelernt hat, das ist das größte Gefühl für mich.
Den Award machen wir noch so nebenbei, um unsere harte Aufklärungsarbeit zu feiern. Es ist gar nicht mehr der Hauptaspekt, aber als große Jahresveranstaltung natürlich immer noch das Zugpferd. Ja, das ist der „Goldene Aluhut“: Aus einem Scherz geboren und jetzt mit Herzblut und Bildungsauftrag unterwegs.
Die Organisation gibt es jetzt schon seit etwa acht Jahren. Was hat sich in dieser Zeit und vor allem in den letzten beiden Jahren in der Verschwörungs-Szene verändert? Und wie hat sich auch die öffentliche Wahrnehmung gewandelt?
Da gibt es viel zu viel, um das jetzt mal kurz unterzubringen. 2014 hatte Social Media zum Beispiel noch nicht den Stellenwert, den es heute hat. Es gab noch nicht so viele und so etablierte Kanäle. Diese ganzen kleinen, versprengten Gruppierungen von damals haben jetzt durch die Pandemie zusammengefunden. Wir haben jahrelang davor gewarnt, dass nur mal ein kritisches Ereignis kommen muss, dass die Gruppen sich zusammenfinden und für unsere demokratische Grundordnung wirklich gefährlich werden können. Das Potenzial haben wir schon 2014 gesehen, als aus den „Mahnwachen für den Frieden“ die Pegida herangewachsen ist. Und da waren ja die gleichen Player unterwegs wie bei Querdenken später auch.
Die Warnungen von uns und auch anderen Expertinnen und Experten sind nicht gehört worden, das hat mich ein bisschen fassungslos gemacht. Auch nach einem Jahr Demogeschehen haben die Leute immer noch gefragt, wie das denn passieren konnte. Aber ich habe so ein bisschen das Gefühl, langsam werden sie wachgerüttelt, weil wir von einer Krise in die nächste Krise stürzen, mit Pandemie, Krieg und Klimakrise. Da wird den Leuten bewusst, dass Verschwörungserzähler nicht einfach nur eine spinnerte Randgruppe sind, die vielleicht mal Hochkonjunktur haben, wenn eine Pandemie ist, sondern dass sie ein relevanter Teil unserer Gesellschaft sind, die sich Gehör verschaffen wollen, notfalls mit Gewalt.
Und das schwappt vom Internet ins echte Leben über. Ich nenne jetzt mit Schrecken zwei Beispiele: In Zwickau hätte Mitte Mai ein interkulturelles Fest stattfinden sollen, „Zwikkolör“, und zwar am Hauptmarkt. Allerdings hat eine kleine Gruppe Rechter und Querdenker diesen Marktplatz für genau diesen Tag als Demonstrationsort auserkoren und kurz vor dem Fest dort eine Demonstration angemeldet. Das ging vor das Verwaltungsgericht, und da eine Demo vom Grundgesetz geschützt ist, eine Großveranstaltung der Stadt aber nicht, durfte die Demo stattfinden. Das Stadtfest musste ausfallen, damit zehn Nazis dort aufmarschieren konnten. Das ist eine Verdrehung, ein Missbrauch von Rechtsstaatlichkeit.
Das zweite Beispiel ist, was am 28. Mai dieses Jahr in Hambach passiert ist. 3.000 Querdenker und Rechte haben in weißem Dresscode das Hambacher Demokratiefest gestürmt. Die Polizei hat dann die antifaschistischen Organisationen und Standbetreiber von der NS-Gedenkstätte Neustadt an der Weinstraße vom Platz gebracht. Es war eine familienfreundliche Veranstaltung, da waren Kinder, das musste alles geräumt werden. Und dann siehst du Reichsflaggen und Nazi-Symbole auf dem Hambacher Schloss, das eigentlich so eine schöne Geschichte in unserer Demokratieentwicklung hat. Das ist ein Eindringen in unser demokratisches, gesellschaftliches Leben. Und statt die Querdenker aufzuhalten, räumt die Polizei die eigentliche Veranstaltung. Das sind sehr gefährliche Entwicklungen, die nichts mehr mit irgendwelchen lustigen Aluhut-Preisen zu tun haben. Das macht mir – ja, Angst will ich nicht sagen, ich habe keine Angst, ich bin wütend. Ich bin wütend, dass diese Dinge passieren.
Erleben Sie eigentlich auch persönlich oder als Organisation Drohungen oder Hate Speech von Seiten der Verschwörungs-Szene?
Ja, immer um die Verleihung herum. Da kommen sie gerannt und schreiben mir Hass-Emails. Ich leite das dann immer geschlossen zu den Kollegen vom LKA. Da habe ich schon einen guten Kontakt. Die schützen auch immer unsere Veranstaltung, da habe ich dann drei Mann vor der Tür. Sehr unangenehm, aber so ist es halt, wenn man Aufklärung betreibt. Ich lasse mich davon nicht beeindrucken. Das Krasseste war, dass uns jemand Scheiße geschickt hat, kein Witz. Da hat entweder einer selbst oder seinen Hund in eine DVD-Hülle kacken lassen und uns das dann geschickt. Ansonsten gibt es noch Sicherheitskonzepte, kein freies Schussfeld auf der Veranstaltung und so, das ist klar. Vor sowas habe ich auch keine Angst, und darf ich auch gar nicht haben.
Einer der ersten goldenen Aluhüte ging 2015 an Xavier Naidoo. Dieses Jahr Ende April hat er ein Statement veröffentlicht, in dem er sich von dem Ganzen distanziert hat. Wie sehen Sie das? Ist das glaubwürdig? Kann man aus der Szene so einfach austreten?
Ich habe damals sofort gesagt, das ist eine Ente. Ich will es nicht Fake nennen, aber es ist auf jeden Fall kein ernsthaftes Statement. Ich verstehe nicht, warum so viele Leute ihm das tatsächlich geglaubt haben. Er hat ja auch nirgendwo benannt, von was er sich distanziert. Dazu müsste er ja sagen „Ich distanziere mich davon, dass ich mich antisemitisch geäußert habe und Verschwörungserzählungen von Chemtrails, Adrenochrom und QAnon verbreitet habe“. Hat er aber nicht. Er war einer der Drahtzieher und hat noch zwei Wochen vorher bei Telegram gepostet. Ich möchte da echt offen und ehrlich sein: Nein, so schnell steigst du nicht aus. Nicht, wenn du so tief drin bist. Ich selbst habe über Jahre meinen eigenen Sektenausstieg vollzogen. Es gibt Menschen, die gehen da über Nacht raus, aber die waren nicht so tief drin. Und selbst wenn sie den Eindruck erwecken, plötzlich auszutreten, ist da vorher ein sehr langer Entwicklungsprozess dahinter.
Xavier Naidoo kann nirgendwo mehr spielen, niemand arbeitet mehr mit ihm zusammen und er versucht jetzt noch irgendwie zu retten, was zu retten ist. Das sind nur schöne leere Worte und eine Distanzierung ist nicht drin. Wenn er wirklich aussteigen will, rennt er in ganz viele offene Arme – sogar meine. Aber das muss ernst gemeint sein. So sehen wir und viele andere aus unserer Zunft das. Andere sagen, sie wollen ihm eine Chance geben, aber damit hat das nichts zu tun. Er war einer der ganz großen Player und da muss jetzt auch entsprechend was Großes zurückkommen.
Wie Sie schon angesprochen haben, verleihen Sie bei „Der Goldene Aluhut“ nicht nur Preise, sondern schreiben auch Artikel, zum Beispiel über Esoterik und Politik. Können Sie damit Ihrer Erfahrung nach auch Verschwörungsgläubige erreichen?
Das weiß ich nicht und das war auch nie das Ziel. Ich wollte nie irgendjemanden wo rausholen, das fände ich übergriffig. Ich möchte die Bevölkerung gegen das Schwurbelvirus impfen. Ich bin keine Heilerin, ich mache Präventionsarbeit. Wenn ich auf irgendjemanden einen positiven Impact gehabt habe, dann erfreut das mein Herz sehr, ich wüsste aber nicht davon. Ich möchte vor allem denjenigen was an die Hand geben, die in Diskussionen feststecken, in denen es nicht mehr um Fakten geht. Oder Menschen, die sich gerne aktiv eine Meinung bilden würden, aber nicht wissen wie, weil ihnen die Daten fehlen und sie nicht wissen, wo sie sie herkriegen sollen. Die digitale Bildung ist schlecht in Deutschland. Viele können nicht mal eine Fake News erkennen, wenn das direkt dransteht, das hat die Nachrichtenkompetenz-Studie von Futur Eins eindrucksvoll gezeigt. Und ich will den Leuten einfach was an die Hand geben, damit sie da gar nicht erst reingeraten – Hilfe zur Selbsthilfe.
Sie waren selbst bei den Zeugen Jehovas, bis Sie 2007 ausgestiegen sind. Was sind Ihrer Erfahrung nach Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Sekten und Verschwörungsideologien?
Verschwörungstheorien, Sekten, Esoteriker und Gurus folgen dem Prinzip „Nichts passiert durch Zufall, alles ist miteinander verbunden und nichts ist, wie es scheint“. Sie behaupten, die elitäre, allgemeingültige Wahrheit zu besitzen. Die wird aber nicht belegt, sondern oft auf Göttlichkeit abgeschrieben, eine höhere Macht oder ähnliches. Das argumentatorische Pferd wird von hinten aufgezäumt: Schuldige und Heilsbringer stehen schon im Vorfeld fest, und die Argumentation wird dann so aufgebaut, dass sie genau dort hinführt. Denken wir an Guru-Gemeinschaften, wo Sektenvorstehende immer wieder die Schuld umkehren: „Überleg dir mal, warum du nicht gesund wirst. Hast du nicht genug gebetet? Hast du nicht genug Vertrauen?“
Inhaltlich sind das einfache Welterklärungsmodelle, die Welt wird in Gut und Böse eingeteilt. Personen, die Hilfe oder einen Sinn suchen, rutschen da schnell in eine Abhängigkeit rein. Wir reden hier von starken Emotionen, Wut, Angst und Hass. Pandemie, Job ist weg, du bist in einer existenziellen Krisensituation, weißt nicht, wie es weitergeht. Du kannst deine Wut nirgendwo hin kanalisieren – selbst, wenn du an das Virus glaubst, kannst du es ja nicht nehmen und schütteln, das ist ja nicht greifbar. Und diesen Zustand halten viele Menschen nicht aus, sie projizieren ihre Wut über die Umstände auf die Regierung oder auf Bill Gates oder was auch immer. Angst und Wut sind Emotionen, die blind machen. Und dann sind da charismatische Menschen, die gut reden können, oder Promis wie Xavier Naidoo. Da entstehen gefährliche Dynamiken, ähnlich wie bei Sekten. Die Menschen werden an die Community gebunden und stoßen oft den Kontakt zu Freunden und Familie ab. Man schafft sich eine neue Gruppe: „Querdenken“ oder die Facebookgruppe oder auch eine Sekte. Und da steckt man dann fest: Wenn du rausgehst, bist du vielleicht ganz allein. Es ist ein Trugschluss, dass nur sozial isolierte Menschen in Verschwörungserzählungen oder Sekten abrutschen, viele werden dadurch überhaupt erst isoliert.
Das Interview führte Charlotte Schöllhorn im Rahmen einer medienpraktischen Übung im Bachelor-Studiengang “Online Redaktion“ an der TH Köln.
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