Russland abseits der WM-Spielorte
Christian Frey und Moritz Gathmann, die Blogger von „Buterbrod und Spiele“, waren während der Fußball-WM 2018 in Russland unterwegs, um abseits der Spielorte einen persönlichen Eindruck von den Menschen zu gewinnen. In ihrem Blog sprechen sie unter anderem mit einem Comiczeichner aus der prosperierenden sibirischen Stadt Tjumen und erfahren von einem Nachfahren schwäbischer Siedler, was sich seit Sowjetzeiten geändert hat. Die Autoren haben nicht nur die Crowdfunding-Einnahmen transparent gemacht, sondern auch, wozu sie die Spenden eingesetzt haben – von der Logogestaltung über Wodka bis zum Mückenschutz.
„Buterbrod und Spiele“ ist für den Grimme Online Award 2019 in der Kategorie Kultur und Unterhaltung nominiert. Im Interview spricht Moritz Gathmann über das Projekt und spannende Begegnungen.Während der Fußball-WM haben Sie einen Blog über das Gastland Russland angeboten, der sich überhaupt nicht auf den „Fußballzirkus“ konzentriert. Was war für Sie an dieser Idee reizvoll?
Daran war reizvoll, dass während so einer WM immer die Augen der ganzen Welt auf das entsprechende Land gerichtet sind und auf allen anderen Kanälen, also TV-Sendern und Zeitungen, der Fußball dominiert. Wir haben diese Aufmerksamkeit genutzt, um all den Menschen, die sich für das Land interessieren, abseits des Fußballs eine breite Auswahl an Geschichten zu erzählen, damit ein Mosaik des Landes entsteht. Wir hatten eine große Bandbreite von Menschen: von Menschen im organisierten Hungerstreik für die Freilassung eines Ukrainers, der in Russland in Gefangenschaft sitzt, bis hin zu Leuten, die im hohen Norden Russlands als Fischer arbeiten. Somit ist auf der sechswöchigen Tour durch das Land ein reichhaltiges und differenziertes Bild von Russland entstanden.
Bei Ihrem Projekt haben Sie auf Transparenz gesetzt, was die Finanzierung angeht. Hat das Ihnen geholfen, SpenderInnen zu gewinnen?
In der Vergangenheit haben wir auf diese Weise positive Erfahrungen bei den Spendern gesammelt; daher haben wir uns entschlossen, diese Vorgehensweise für dieses Projekt zu übernehmen. Ich denke, der Spender hat das gute Recht zu erfahren, was mit seinen Spenden passiert. Wenn man als Spender von einer Einnahme für das Projekt von 6.700 € liest, denkt man: Damit kommt man schon weit! Wenn man aber penibel aufgelistet sieht, was für Kosten anfallen, von Versicherungen, der ganzen fototechnischen Ausrüstung bis zu den Visa, dann bekommt man ein realistischeres Bild. Zu einem gewissen Teil hat die Liste auch einen Unterhaltungswert. Wir haben aufgelistet, wo wir überall gegessen haben, oder im Zug eine Flasche Wodka getrunken haben. Ich kann das auch nur allen empfehlen.
Haben Ihre InterviewpartnerInnen Ihre Fragen offen und unbefangen beantwortet? Oder hatten Sie den Eindruck, die Menschen waren wegen der politischen Situation zurückhaltend?
Ich würde sagen, dass wir mit den meisten Menschen offen gesprochen haben und diese offen geantwortet haben. Ich hatte selten das Gefühl, dass die Leute Angst hatten, uns irgendwas zu erzählen. Vielleicht lag es auch daran, dass wir natürlich nicht aufgetreten sind wie Journalisten von der ARD oder vom Spiegel. Da könnte ich mir vorstellen, dass die Menschen befangen sind wegen der Kamera, oder weil der Spiegel auch in Russland bekannt ist. Weil sie befürchten, dass es für sie Folgen haben könnte. Grundsätzlich haben wir viel Neugier erfahren und Offenheit.
Wer war die interessanteste Person, die Sie auf Ihrer Reise kennengelernt haben?
Vielleicht nicht unbedingt eine Person an sich, jedoch insgesamt, dass der biografische Werdegang anders ist als bei Menschen aus West-Deutschland. Weil die gesellschaftlichen Umbrüche – gerade die der 90er Jahre in Russland bzw. der Sowjetunion – sich auf die Biografien ausgewirkt haben.
Spannend war definitiv, der junge Klarinettist Roman, der in den 2000er Jahren in Köln gearbeitet und studiert hat. Er kommt aus Weißrussland und hat sich dann entschieden, dass er nach Russland zurück will. Gemeinsam mit Freunden hat er in der Nähe von Moskau einen Öko-Bauernhof aufgebaut mit den Ideen, die er aus Deutschland mitgebracht hat – der war schon ein faszinierender, idealistischer Mensch.
Welche Erkenntnisse haben Sie bei Ihrem Projekt gewonnen und wie können wir diese für und in Deutschland nutzen?
Ich glaube, was man aus unseren Geschichten mitnehmen kann, ist, dass Russland vielseitiger ist als das holzschnittartige Bild, das man hier in Deutschland bekommt. Aus deutscher Perspektive sieht man Russland als autoritären Staat, als Diktatur, in der es nur Putin-Hörige gibt – und die Oppositionellen werden ins Gefängnis gesteckt. Die Menschen in dem Land lassen sich aber weder in die eine noch in die andere Schublade stecken. Grundsätzlich ist das Land voll von vielen herzlichen Menschen.
Das Interview führte Mert Koc.
Die Interviews entstanden in medienpraktischen Übungen und Seminaren im Bachelor-Studiengang Online-Redaktion an der TH Köln.
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