25 Jahre Grimme Online Award
Zwischen Begeisterung und Realismus – ein bilanzierender Rückblick
Ein Gastbeitrag von Friedrich Hagedorn und Vera Lisakowski
Der Grimme Online Award konnte, das zeigen die Pressestimmen unten, einen fulminanten Start hinlegen und bereits in den ersten Jahren ein großes Medienecho erzeugen. Doch es gab auch skeptische Stimmen: Denn einerseits wurde genau beobachtet, ob und wie das Grimme-Institut, bisher etabliert und anerkannt durch eine über 35-jährigen Tradition des Fernsehpreises, sich auch in der Qualitätsbewertung des damals noch jungen Mediums – das WWW war 2001 erst acht Jahre alt – bewähren würde. Und andererseits war das Internet, gerade nach dem Platzen der „Dotcom-Blase“ um die Jahrtausendwende, als publizistisches Medium noch längst nicht durchweg akzeptiert.
So mussten die Jurys der ersten Jahre gleich hohe Erwartungen und große Herausforderungen bewältigen: Aufbruchsstimmung und Zukunftsphantasien bei gleichzeitiger Unsicherheit und Skepsis. „Internet bedeutet Zehnkampf“, betitelte 2001 die erste Jury ihr Statement. Doch war man überzeugt davon, auch in diesem neuen Medium qualitativ hohe publizistische Leistungen zu finden – und wollte diese so hervorheben, dass ihre Qualität eine breite Öffentlichkeit erreicht. Den Internet-Akteuren sollte ein Gesicht gegeben, sie sollten in ihren Leistungen sichtbar werden. Dem diente eine aufwändig gestaltete Preisverleihungszeremonie, was für die Online-Branche damals noch recht ungewohnt war.
„Das Internet diskursfähig machen“

Vor allem aber wurde ein Qualitätsdiskurs für publizistische Online-Angebote initiiert. Denn in der öffentlichen Medienkritik gab es zwar gelegentlich Hinweise auf einzelne Web-Angebote, doch eine differenzierte Auseinandersetzung mit der – nicht nur technisch-funktionalen – Qualität relevanter Online-Angebote war nicht zu erkennen. Hier betrat das Grimme-Institut Neuland. „Es wird Zeiten geben, da werden Menschen in Bussen und Bahnen, Cafés und Feuilletons sich mit gleichem Ehrgeiz und gleicher Begeisterung über Websites ereifern, wie man es bislang von Film- und Literaturkritiken kennt. Davon handelt der Grimme Online Award.“ So lautete eine Stimme aus der Jury 2002.
Pressestimmen
„Der GRIMME ONLINE AWARD gilt als der Oscar der deutschen Internet-Branche.“
wdr.de (2003)„Internet bedeutet Zehnkampf“ / „Keine Frage: Binnen weniger Jahre haben sich die Grimme-Awards zum renommiertesten deutschen Online-Preis gemausert.“
Spiegel Online (2004)„Der GRIMME ONLINE AWARD ist spätestens im Jahr 2004 zum festen und sinnvollen Bestandteil kultivierter Medienbeobachtung geworden.“
Deutschlandfunk (2004)
Was man damals nicht ahnte: In Bussen, Bahnen, Cafés, während eines Spaziergangs, auf der Couch… sprechen die Menschen nicht über das Internet, sie sind im Internet. Aber: Das Netz selbst bot auf einmal unendliche Möglichkeiten, Kritik und Lob zu äußern oder sich mit anderen auszutauschen. Zunächst über Kommentare auf Websites oder Blogs, später in einem eigenen Universum auf Social Media mit einer ganz anderen Kommunikationsdynamik. Eine fundierte Kritik an publizistischen Online-Angeboten – ob im Feuilleton oder anderswo – findet, bis auf die inzwischen kultivierte Podcast-Kritik, nach wie vor kaum statt. Umso wichtiger war und ist der differenzierte und multiperspektivische Qualitätsdiskurs. Er macht die Jury-Arbeit jedes Mal wieder herausfordernd und spannend, zuweilen auch überraschend, und – da transparent und nachvollziehbar – immer erneut ertragreich und glaubwürdig. Dies sowohl als Hilfestellung für eine interessierte Öffentlichkeit als auch als Rückmeldung für Macher*innen von Online-Angeboten.
Die große Hoffnung: Partizipation

Beteiligung, Mitgestaltung und Partizipation waren gerade zu Anfang zentrale Beurteilungskriterien. Die „partizipative Gestaltung eines neuen medialen Raumes für öffentliche Kommunikation“ habe sich im Internet substanziell verstetigt, hieß es 2005 in der Fünf-Jahres-Bilanz. Angesichts der ersten Auszeichnungen für Blogs, Wikis oder Twitter schrieb die Jury 2010: „Das Jurystatement, gezwitschert, könnte so aussehen: ‚Das Medium ist nicht die Botschaft, es kommt ganz auf den Sender an. Und wo viele senden, wird manches sehr gut‘.“ Und heute? Die Dominanz der Kommunikation im Internet durch Social-Media-Plattformen, deren undurchschaubare Algorithmen von großen Tech-Konzernen beherrscht werden, rücken weniger die Entfaltung, sondern eher Sicherheit und Regeln der öffentlichen Online-Kommunikation in den Vordergrund. Dabei sah sich der Grimme Online Award nie als Bedenkenträger in Bezug auf das Internet, sondern hat immer die positiven Aspekte hervorgehoben und mit guten Beispielen Orientierung geboten. Dies auch bei Social-Media-Angeboten. Während Twitter oder Facebook nur vereinzelt unter den Nominierten auftauchten, sind inzwischen Instagram und TikTok regelmäßig auch unter den Ausgezeichneten. Dies wurde in den Jurys vehement diskutiert. Früher unter dem Aspekt der Zugänglichkeit: War eine Anmeldung bei einer der „Datenkraken“ notwendig, hatte das Angebot kaum eine Chance. Dies spielt heute keine Rolle mehr, Social Media ist zu selbstverständlich. Datenschutz hingegen ist nach wie vor ein Thema – und die Abwägung, seine Inhalte einer Plattform zu schenken und von ihr abhängig zu sein versus die Möglichkeit, auf einfachem Wege ein Publikum zu erreichen; auch für den Grimme Online Award selbst.
Das Streben nach digitaler Souveränität

Auch wenn in den ersten Jahren das Internet zumeist als Erweiterung des publizistischen Raums vorhandener Medien, insbesondere des Fernsehens, fungierte und damit große Anbieter überwogen, lag in der Bewertung der eingereichten Vorschläge ein besonderes Augenmerk auf kleineren, unabhängigen Angeboten, auf neuen Konzepten und kreativen Initiativen. Bereits 2001 gab es mit „Bitfilm“ die Auszeichnung einer „innovativen Plattform für netzgerechte Filme“ – vier Jahre vor der Gründung von YouTube. „Bitfilm ermöglicht bereits heute eine ‚Vision‘ dessen, was das Internet in Zukunft kann und sein wird“, steht weitsichtig in der Preisträgerbeschreibung. Leider ist es in diesem Fall bei der Vision geblieben, stattdessen werden die Videos bei einem US-amerikanischen Großkonzern milliardenfach geschaut. Die Preise für „Telepolis“, „Perlentaucher“ oder „Bildblog“ in den folgenden Jahren sind Beispiele, wie beim Grimme Online Award von Anfang an Projekte eines unabhängigen, kritischen Online-Journalismus gewürdigt wurden. Die vielen Preise für die Recherchen und Projekte von „Correctiv“ seit 2015, oder auch die Auszeichnungen für „netzpolitik.org“, die sich für digitale Freiheitsrechte einsetzen, schreiben dies unter einem breiteren gesellschaftspolitischen Gesichtspunkt fort.
Auch für die Qualitätsbeurteilung selbst bleibt Souveränität das entscheidende Kriterium. Denn Kompetenz und Unabhängigkeit der Juror*innen, die Eigenständigkeit und Zuverlässigkeit des Verfahrens sind für Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Grimme Online Award das höchste Gut. Sie können in Zeiten, in denen unabhängige Institutionen und Organisationen zunehmend durch politische oder andere Partialinteressen unter Druck geraten, gar nicht hoch genug gewürdigt werden.
Nach 25 Jahren, könnte man meinen, ist das Internet nicht mehr „Neuland“ und eine Orientierung wie der Grimme Online Award nicht mehr notwendig. Die Wahrheit ist aber, dass das Internet Zehnkampf bleiben wird, weil sich Formate und Technik schneller wandeln als je zuvor und als unser menschliches Hirn es von anderen Medien gewohnt ist. Gerade die rasanten Veränderungen durch die derzeit so gehypte Künstliche Intelligenz werden neue Herausforderungen schaffen: Nun muss nicht mehr nur Qualität in positiven Beispielen hervorgehoben, sondern auch die Unterscheidung zwischen menschen- und maschinengemacht gelehrt – und für halluzinierte Fakten sensibilisiert werden. Denn was 2001 noch die Suche nach Perlen im Meer war, gleicht heute einer Suche in einem riesigen, unberechenbaren Ozean.
Der Gastbeitrag von Friedrich Hagedorn und Vera Lisakowski ist der Preispublikation entnommen, die im Zuge der Preisverleihung am 08. Oktober 2025 erschienen ist und hier kostenfrei verfügbar ist.
Die Autor*innen
Friedrich Hagedorn ist Initiator des Grimme Online Award, hat diesen konzeptionell vorbereitet und bis zum Jahr 2015 geleitet. Außerdem war er bis 2015 ebenfalls Leiter des Referats Grimme Medienbildung.
Die Journalistin und studierte Online-Redakteurin Vera Lisakowski arbeitete ab 2007 beim Grimme Online Award, von 2015 bis 2023 leitete sie den Wettbewerb.
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